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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter
Autoren: Gaby Hauptmann
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massive Holztische mit rustikaleren Sitzmöglichkeiten, und ganz hinten schloss sich der Frühstücksraum an. Im Grunde genommen ein riesiger durch verschiedene Elemente geteilter Raum. Ella beobachtete die Menschen und ihr Treiben und war plötzlich an der Reihe. Ja, ihr Zimmer sei noch nicht geräumt, hieß es, aber sie habe Glück, ein Gast habe eben abgesagt, so bekäme sie ein Upgrade – zum selben Preis ein größeres Zimmer.
    Ella bedankte sich erfreut und fand, dass die Reise doch ganz gut anfing. Jetzt war sie da, und alles war gut. Sie fuhr mit ihrem Rollkoffer in den vierten Stock, fand das Zimmer, öffnete die Tür und fragte sich, wie ein kleineres Zimmer wohl ausgesehen hätte, wenn dies ein Upgrade war? Außer für ein Bett war kaum Platz. Und dann entdeckte sie die zerknüllte Chipstüte und die leeren Flaschen neben dem Bett. Das Zimmer war entweder schlampig oder gar nicht gemacht. Sie drehte sich auf dem Absatz um und fuhr wieder hinunter. Diesmal stellte sie sich nicht mehr hinten an, sondern ging mit einem »sorry, sorry« zu den Wartenden direkt nach vorn.
    Der jungen Frau an der Rezeption war es wenig peinlich, sie entschuldigte sich mit einem fröhlichen Lachen und druckte ihr eine andere Zimmerkarte aus. Diesmal sei es nun ein wirklich besonders schönes Zimmer. Ella nickte und lief erneut zum Fahrstuhl. Egal, sagte sie sich, du hast ja Zeit, und alles ist gut. Gleich sitzt du am Tisch, schaust dir mal ein schwedisches Frühstücksbüfett an und lässt dich langsam und gemütlich in den Tag hineingleiten. Die Galerie hat sowieso noch nicht geöffnet.
    Diesmal war es der fünfte Stock und im langen Gang das letzte Zimmer auf der linken Seite. Ein Eckzimmer, dachte Ella, das hört sich jedenfalls schon mal gut an. Sie lächelte, als sie die Zimmerkarte in den Türöffner schob und die Tür aufdrückte. Ihr Koffer verklemmte sich, weil die Tür hinter ihr gleich wieder zufallen wollte, und sie kämpfte noch mit ihm, als jemand in ihrem Rücken »Oh, là, là« sagte.
    Erschrocken drehte sie sich herum. Ein nackter Mann sah aus der Badezimmertür heraus, ein Handtuch an seinen Unterleib gepresst. Vor Schreck ließ Ella den Koffer fallen, dann sammelte sie sich.
    »Sorry«, sie holte kurz Luft, »ich dachte, das sei mein Zimmer.«
    Der Mann lächelte, und irgendwie erinnerte er Ella an Charles Aznavour, sie hatte plötzlich wieder das Cover der Langspielplatten ihrer Mutter vor Augen.
    »Bitte sehr«, sagte er mit einer charmanten Handbewegung und mit entwaffnendem französischen Akzent, »es ist Ihr Zimmer.«
    »Mein Zimmer?«
    »Ja, Sie haben doch einen Schlüssel«, er sah sie an. »Oder nicht?«
    »Ja, doch«, Ella hob die Karte hoch und kam sich im selben Augenblick unglaublich blöd vor. »Aber wir können doch nicht beide dasselbe Zimmer haben … das geht doch nicht!«
    »Mais oui«, er lächelte entspannt. »Das sind die neuesten Sparmaßnahmen in Schweden. Zwei Menschen in einem Zimmer verbrauchen weniger Energie. Und wenn man Glück hat, geben sie noch welche ab.«
    »Aha, Glück!« Sie starrte ihn unverwandt an, dann musste sie lachen.
    »Das ist ein Witz! Sorry! Was sagt Ihre Frau dazu?«
    »Rien. Nichts.« Er streckte ihr die Hand hin. »Mein Name ist Roger.«
    »Ella.« Und sie hätte gern Bens Gesichtsausdruck gesehen. Hier im Zimmer eines fremden, halb nackten Franzosen, dem sie gerade freundschaftlich die Hand schüttelte.
    »Et maintenant?« Er lächelte sie an. Und er hat tatsächlich etwas sehr Gewinnendes, stellte Ella fest. »Was jetzt? Wollen Sie bleiben oder ein Missverständnis klären, wo es keines gibt?«
    »Keines?«, fragte sie. Und warum auch immer, ihr Gehirn stellte auf Abenteuer um. Das Spiel reizte sie plötzlich.
    »Sehen Sie eines?«
    Sie sah ihn an, wie er vor ihr stand, braun, schlank und das weiße Hotelhandtuch vor seine Genitalien gepresst. Sie schätzte ihn auf Anfang vierzig, ein junger Charles Aznavour, ein sehr gut aussehender Mensch, ganz ohne Frage.
    »Hm«, machte sie.
    »Vielleicht wollen Sie erst einmal ihren Koffer abstellen, ihre Jacke ausziehen, und ich schaue nach zwei Gläsern Champagner, obwohl das vielleicht ein bisschen optimistisch ist?« Er schlang sich das Handtuch blitzschnell um die schmalen Hüften, dann geleitete er Ella vom kurzen Flur in das Zimmer, das tatsächlich sehr viel größer war als das vorhergehende, schob ihr einen der rot gepunkteten Sessel zurecht und ging vor der Minibar in die Hocke.
    »Et voilà«, sagte er
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