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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland
Autoren: Wladimir Kaminer
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Internetanschluss war ausgefallen. Sie bat also meine Frau um Hilfe. In einer solchen Notsituation kann niemand Nein sagen. Also ermittelte meine Frau den tierärztlichen Notdienst – er befand sich am Ende der
Welt, in Marzahn –, nahm sich ein Taxi, fuhr nachts zu ihrer Freundin nach Friedrichshain, lud sie und den Kater in den Wagen, und weiter ging es nach Marzahn.
    In der tierärztlichen Praxis herrschte eine frohweihnachtliche Stimmung. Das Wartezimmer war überfüllt mit Tieren, die typische weihnachtsbedingte Unfälle und Verletzungen hatten. Zwei niedliche Kätzchen, die vom Weihnachtsbaum genascht hatten und denen nun große bunte Bündel von Lametta aus den Hintern raushingen. Wenn aber die Besitzerin ihren Kätzchen das Lametta aus dem Arsch ziehen wollte, fingen beide sofort an, elendig zu jodeln. Anscheinend hatte sich das Lametta im Inneren der Katzen um irgendwelche wichtigen Organe gewickelt.
    Außer den Katzen gab es Papageien, die sich an Weihnachtskerzen verbrannt hatten, und runde Meerschweinchen, die allem Anschein nach etwas Großes, Flaches und Quadratisches gefressen hatten und nun geröntgt werden mussten. Ich tippte auf Adventskalender. Neben den Meerschweinchen saß ein gut gewachsener Hund mit gebrochenem Bein, der wahrscheinlich in den Tannenbaumhalter getappt war.
    Die lange Fahrt nach Marzahn hatte Johann Wolfgang gutgetan. Wie so vielen Patienten ging es auch ihm beim Anblick des Arztes plötzlich besser. Die Tierärztin untersuchte ihn kurz und meinte, es sei alles gar nicht so schlimm, der Zucker spiele ein wenig verrückt, aber mit der richtigen Behandlung, am besten stationär, würde der Kater problemlos noch weitere hundert Jahre schaffen. Die Untersuchung kostete hundertfünfzig Euro, die Medikamente
hundertvierzig, und jeder Tag auf der Station zusätzlich fünfzig Euro.
    »Können Sie dem Kater nicht vielleicht eine Erlösungsspritze geben?«, erkundigte meine Frau sich unverblümt bei der Ärztin, als ihre beste Freundin einmal kurz mit dem Kater rausgegangen war. »Das Tier zieht das letzte nicht vorhandene Geld aus der Familie und macht mit seinem langsamen Sterben alle Menschen in seiner Umgebung unglücklich, traurig und depressiv. Es ist eine Qual für seine Besitzer und sich selbst geworden und würde bestimmt selbst den Freitod wählen, wenn es mündig wäre.«
    Die Ärztin war darüber mehr als empört. »Wie können Sie es wagen!«, rief sie. »Müssen wir jetzt etwa alle Lebewesen töten, die Ihre Freundin traurig oder irgendjemanden depressiv machen? Wenn ich Ihrer Logik folge, dann müsste ich jedes zweite Tier, das in meine Praxis kommt, sofort umbringen. Aber ich bin kein Mörder, ich bin Tierärztin, mein Beruf ist es zu heilen, nicht zu vernichten. Jedes Leben ist ein Wunder der Natur und darf auch nur von der Natur wieder genommen werden. Glauben Sie mir, dieser Kater wird uns alle überleben, er muss nur auf seinen Zuckerspiegel aufpassen!«, sagte die Ärztin noch zum Abschied und zwinkerte optimistisch.
    Nachts fuhren die beiden Olgas mit Johann Wolfgang nach Friedrichshain zurück, durch die dunkle schneelose Weihnachtsstadt. Die Frauen schwiegen. Die eine dachte darüber nach, wie sie ihrer Mutter erklären konnte, dass sie schon wieder kein Geld mehr besaß, obwohl sie sich doch gerade letzte Woche welches bei ihr geliehen hatte;
die andere dachte darüber nach, wie sie ihrem Mann glaubwürdig erklären konnte, dass sie die ganze Heilige Nacht in einer Tierarztpraxis in Marzahn mit einem Kater verbracht hatte. Der Kater selbst verlor keine Zeit für irgendwelche Gedanken, er schnurrte und machte daneben während der ganzen Fahrt komische Geräusche: Er grunzte, kicherte, nieste und bereitete sich auf ein langes glückliches Leben vor.

Das Eimerchen
    Dieses Jahr hatten wir eine besonders multikulturelle Ecke auf Teneriffa erwischt. Man hörte von allen Seiten Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Russisch und Norwegisch. Durch dieses Stimmengewirr drang an unsere Ohren immer wieder der deutsche Satz:
    »Geh und hol dir deinen Eimer, ich lasse mich nicht von dir kneifen.«
    Eine drollige Stimme sagte dies alle fünf Minuten wie auf einer Schallplatte, die einen Sprung hat. Der Satz kam von einer sonnenbebrillten Mutter, die mit ihrem Kind in der Nähe saß. Das Eimerchen lag am Wasser zwei Meter von ihren Füßen entfernt. Das Kind weinte und weigerte sich, das Ding zu holen. Seine Mutter wiederholte wie ein Roboter: »Geh und hol ihn dir.«
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