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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland
Autoren: Wladimir Kaminer
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Lokal kein anderes Gericht, beeindruckten mich durch ihr ungewöhnliches Aussehen. Als jemand, der seit vielen Jahren jede Woche in einer anderen deutschen Stadt speist, glaubte ich, längst alle regionalen Spezialitäten dieses Landes mehrmals gekostet zu haben: Würste unterschiedlicher Größe und Farbe, Kraut, mal mehr, mal weniger sauer und manchmal zu Brei verkocht, Eisbeine, die von neugierigen japanischen Mädchen in Münchner Touristenlokalen zu dritt umschlungen werden, wie Pythonschlangen ihre Kaninchen umschlingen. Und Aufläufe, ja vor allem unzählige Aufläufe, diese kulinarische Erinnerung Deutschlands an die Zeit des Hungers und der Not. Vor diesem Hintergrund wirkte der mittelfränkische Karpfen gehoben, beinahe dekadent.

    Meinen Besuch in Lauf an der Pegnitz verdankte ich Bundespräsident Köhler, der seine Aufgabe darin sah, Deutschlands Selbstwertgefühl zu modernisieren, d. h. zu heben. Gleich nach der Fußballweltmeisterschaft, die bekanntlich unter dem etwas verwirrenden Slogan »Die Welt zu Gast bei Freunden« stattfand, entwarf er, auf der Welle der allgemeinen Selbstbegeisterung surfend, ein neues Motto: »Deutschland – Land der Ideen«.
    Schon beim ersten Slogan schauten sich die Deutschen ungläubig um, auf der Suche nach irgendwelchen »Freunden«, bei denen sie zu Gast waren. Jeder wollte sich zur Welt zählen, nicht Gastgeber sein. Nach der beinahe siegreichen Fußballweltmeisterschaft hatte sich jedoch das Selbstwertgefühl dermaßen gesteigert, dass nichts mehr unmöglich schien in diesem Land der Ideen. Aus dem Vorstoß des Bundespräsidenten entwickelte sich eine landesweite Initiative: »365 Orte im Land der Ideen«, unterstützt von der Deutschen Bank, die wahrscheinlich in jedem Ort Deutschlands eine Filiale hat und damit den Fluss der Ideen gut vor Ort kontrollieren kann.
    Es war ein ehrgeiziges Projekt: Jeden Tag musste eine deutsche Stadt eine kreative Idee entwickeln oder auch zwei. Dafür wurde der Stadtverwaltung ein handgeblasener Pokal der Kreativität des Bundespräsidenten von den örtlichen Vertretern der Deutschen Bank überreicht. Der Präsident konnte unmöglich persönlich mit dem Pokal der Kreativität von Idee zu Idee torkeln, dafür hätte er 365 Tage im Jahr unterwegs sein müssen. Aber zum Glück hatte er überall seine Leute.

    Die Städte und Gemeinden bewarben sich eifrig um den Pokal der Kreativität und statt 365 Ideen kamen über 1500 zusammen, d. h. fast jede zweite deutsche Stadt hatte eine ausgebrütet! Manche Ideen waren allerdings so bescheuert, dass sie schon im Sekretariat des Bundespräsidenten aussortiert wurden. Das Aussortieren tat dem Projekt nur gut, es waren sowieso viel zu viele Ideen für das relativ kleine Land. Nur die besten schafften es in den »Katalog der Ideen«.
    Die Städte überboten sich an Kreativität und Einfallsreichtum, insbesondere in den Bereichen Kunst, Wirtschaft und Soziales. Es kam viel Erstaunliches zum Vorschein. Die Leipziger warfen zum Beispiel einen Elefanten in einen Brunnen mit Wänden aus Glas, damit man dem großen Tier beim Schwimmen von unten zuschauen konnte. Ein seltener Spaß. In Osterode luxussanierte man einen alten Schafstall. Die Bewohner von Pritzwalk machten, um den Abwanderungstrend zu stoppen, etwas aus dem öden Autobahndreieck Wittstock/Dosse: Man dreht sich dort nun nur noch im Kreis und kommt so gar nicht mehr weg – in den Westen. Die Stadt Kirchheim hat die Aktion »Buddeln mit Oma und Opa« ins Leben gerufen, damit Kinder unter Anleitung von engagierten Senioren Rüben sammeln und ihnen dadurch der reiche Erfahrungsschatz der älteren Generation nähergebracht wird. In Hamburg ließ die Leitung einer Justizvollzugsanstalt ihre Knastinsassen T-Shirts mit Aufdrucken wie »Noch unschuldig« und »Auf Bewährung« produzieren.
    Die Idee von Lauf war, eigene Literaturtage auszurufen
und mich zu einer Lesung einzuladen. Eine tolle Idee – aus meiner Sicht, und so konnte ich den Karpfen dort probieren. Die Stadt Lauf an der Pegnitz sollte ein Schloss aus dem 15. Jahrhundert haben, ferner ein altes Spital und schöne Kirchen. Auf meinen endlosen Reisen habe ich allerdings den Blick für Sehenswürdigkeiten aller Art verloren. In jeder Stadt interessiert mich nur noch das Wesentliche, genau genommen zwei Dinge: die Sushibar und die Schwimmhalle. Der mittelfränkische Karpfen war besser als die Sushis in vielen Bars, und die Schwimmhalle von Lauf hatte mehr Wasser als mein Stammschwimmbad in
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