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LIEBES LEBEN

LIEBES LEBEN

Titel: LIEBES LEBEN
Autoren: Kristin Billerbeck
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hinführt.
    »Wunderschön«, flüstert er mir nach einem kurzen Augenblick zu, dann nimmt er meine Hand. Meine Hand! Es ist eine Freundschaftsgeste, ein Friedensangebot, kein Liebeszeichen. Richtig? Ich zwinge mich, ihn verstohlen anzusehen, aber an seinem Gesichtsausdruck kann ich nichts erkennen. Ich drücke seine Hand fest. Geh nicht, flehe ich ihn damit an.
    »Du kannst vielleicht singen.« Kevin ist gerade auf meiner anderen Seite in die Reihe geschlüpft, und Seth zieht schnell seine Hand zurück. Ich bin hin und her gerissen. Ich habe das Gefühl, als läge das volle Gewicht von Kevins Erlösung auf der einen und Seths Person auf der anderen Seite auf meinen Schultern und ich müsse die Balance halten Der Wettstreit zwischen diesen beiden Männern ist offensichtlich. Beide sind fest entschlossen - Seth will sich nicht zum Gespött machen, und Kevin will diesen heimlichen Kampf nicht verlieren. Nach einer ziemlich langen Predigt, auf die ich mich nicht konzentrieren konnte, weil ich die ganze Zeit befürchtete, ich könnte zu sehr schwitzen, wird das letzte Lied gespielt, und ich stehe zwischen den beiden.
    »Ich fliege nachher nach Las Vegas«, sage ich, um ein bisschen Small Talk zu machen.
    »Ich auch«, sagt Seth.
    »Was?«
    »Ich habe ein Rückflugticket nach Phoenix über Las Vegas bekommen für fünfzig Dollar. Meine letzte Wohnungs-Suchexpedition.«
    »Wie viel bringt dir die verlorene Zeit in Vegas?«, fragt Kevin.
    »Ungefähr einhundert Dollar, glaube ich«, antwortet Seth achselzuckend.
    Die Situation ist wirklich unangenehm. Ich will alleine mit Seth reden, aber Kevin geht nicht, und da sich das Ganze jetzt zu einer Dating-Show entwickelt, erst recht nicht. Ich wünschte, ich hätte eine Rose, dann könnte ich sie wie in der Show dem Mann meiner Wahl überreichen. Andererseits ist Kevin in den Gottesdienst gekommen, und das könnte für seinen Glauben sehr wichtig sein. Der einzige Weg, um hier heil herauszukommen, ist, mich von beiden gleichzeitig zu verabschieden.
    Ich schlucke, hole tief Luft und entschuldige mich. »Ich muss zum Flughafen. Wir sehen uns, wenn ich wieder da bin.« Aber ich weiß, dass ich Seth nicht wiedersehen werde, und der Gedanke daran nimmt mir den Atem.
    »Ruf mich an, wenn du wieder da bist. Soll ich dich vom Flughafen abholen?«, fragt Kevin.
    Der Gute, er ist ein liebenswerter Ungläubiger, sonst nichts.
    »Nein, danke.«
    Ich versuche, Seth beiläufig mit dem Zeigefinger zu mir zu winken, aber er bemerkt es nicht. Mein Blick kreuzt sich mit seinem. Ich weiß, dass er es fühlt. Diesmal lässt sich die Anziehungskraft nicht leugnen. Er kommt näher und ignoriert dabei, dass Kevin danebensteht. »Mach’s gut, Ashley.« Er küsst mich auf die Wange, und ich greife nach seiner Hand.
    »Wirst du wirklich gehen?«, flüstere ich unter Tränen. Kevin spürt, dass er überflüssig ist, und streichelt mir den Rücken, um Tschüss zu sagen. Ich beachte ihn nicht. In diesem Moment habe ich nur Augen für Seth.
    »Ich bekomme eine Managementposition«, erklärt Seth.
    »In Arizona. Du hast immer gesagt, dass Silicon Valley der Ort ist, wo man sein muss, Seth. Hier muss man bleiben, um langfristig Karriere in der Technikbranche zu machen. Hast du mir das nicht einmal gesagt?«
    »Ich habe wahrscheinlich schon viele dumme Sachen gesagt. Wenn du auf Jobsuche gehst, Ashley, dann kannst du bei dieser Wirtschaftslage nicht mehr sehr wählerisch sein. Hier in der Gegend weiter voranzukommen war unmöglich.«
    Er kommt noch näher, und jetzt ist es mir vollkommen egal, wo Kevin ist. Ich kann den Herzschlag in Seths Brust spüren, das Kraftfeld zwischen uns. Aber ich weiche nicht zurück. Es ist eine schweigende Herausforderung an ihn. Er ist jetzt nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, und ich frage mich, ob er mich hier in der Gemeinde küssen wird. Ich halte den Atem an und warte ab. Schließlich findet unser Gottesdienst ja nicht in einem Kirchengebäude statt, sondern in einer Schulaula - aber trotzdem. In der Gemeinde küssen? Viel zu uncool. Aber meine Sorgen sind umsonst. Er reißt sich von meinem Blick los und weicht zurück. Ich atme tief aus.
    »Ich maile dir, wenn ich wieder da bin. Viel Spaß bei der Hochzeit deines Bruders.« Seth nickt mir zu und wendet sich dann ab.
    »Wir werden in der Viva Vegas Kirche sein, wenn du bei deinem Zwischenstopp in Vegas vorbeischauen willst«, sage ich und stelle mich ihm verzweifelt in den Weg. Aber er winkt nur ab und
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