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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
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Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens suchen. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Haben wir eine Seele? Gibt es einen Gott? Welchen Sinn hat das Leben? Bei ihrer Suche nach Antworten hinterfragen sie einfach all das, worüber wir uns normalerweise nicht den Kopf zerbrechen. Was wir als gegeben hinnehmen. Insofern bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher, ob ich wirklich ein großer Philosoph bin. Denn einer meiner vermeintlich genialen Gedanken war, dass die Welt nur aus Profis und Amateuren besteht. Diese Erkenntnis habe ich aber gar nicht hinterfragt. Sie stand von Anfang an für mich fest und war deshalb wohl eher keine philosophische Eingebung. Egal. Ich finde diese Einteilung in Profis und Amateure trotzdem gut. Profis sind die, die mit dem, was sie tun, Geld verdienen können – eben weil sie darin gut sind. Wie die großen Fußballstars. Amateure lieben zwar das, was sie tun, sind darin aber nicht gut genug und verdienen kaum oder gar kein Geld damit. Es ist eigentlich nicht weiter schlimm, dass es Amateure gibt. Jeder fängt ja mal als Amateur an. Wenn die aber als Profis daherkommen, also so tun als ob, dann ist das wirklich das Allerschlimmste. Das finde ich dummdreist. Total lächerlich. Die pure Hilflosigkeit ist das. Auch im Theater. So tun als ob. Es gibt ganz viele Schauspieler, die können überhaupt nur »als ob«. Aber das ist doch ihre Aufgabe, magst Du jetzt sagen. Stimmt. Nur darf man davon nichts merken. Ich möchte im Leben und auf der Bühne Menschen sehen, die das, was sie tun, voll und ganz tun. Genau so meinen. Und wenn sie sich dabei verstellen müssen, dann bitte so, dass ich davon nichts mitbekomme. In dem Moment, in dem ich über so etwas nachzudenken beginne, ist schon alles versaut. Ganz oder gar nicht. Alles andere macht mich rasend.
    In Berlin war es ganz besonders schlimm. Im Sommer, als die Meise zu mir gekommen ist. Die Profis waren alle im Urlaub, und die Amateure haben das Ruder übernommen. Meine Hände fangen an zu zittern, so doll rege ich mich auf, wenn ich nur an die Wochen in Berlin denke. Ich gehe lieber schnell ein paar Runden durch den Park laufen. Mit Sonnenbrille, denn auch beim Joggen gibt es Leute, die nur so tun als ob. Leben als ob.
    Danach geht es mir bestimmt besser.
    Wirst schon sehen.
    Ich liebe Dich.
    Als ob.
    Nur Spaß.

das Laufen hat kaum etwas gebracht. Über eine Stunde bin ich durch den Park gerannt. Als ich wieder auf die Station gekommen bin, hat die Schwester zu mir gesagt, es sei jetzt schon zu spät zum Duschen! O Gott. Ich dachte, gleich drehe ich richtig durch! Dabei sind die Türen zu den Duschräumen ganz dick, und außerdem sind hier eh alle auf Schlaftabletten. Sediert. Durch Verabreichung von Medikamenten ruhiggestellt. Keiner hätte mich gehört. Hätte auch keinen gestört. Ist nur gegen die Stationsregeln. »Wenn ich nicht duschen darf, dann möchte ich sofort einen Arzt sprechen«, habe ich sie angeblafft. »Glauben Sie wirklich, dass das eine tolle Idee ist, wegen so einem Quatsch extra einen Arzt zu rufen?« Und überhaupt: Was denkt sich diese Frau eigentlich? Die sollte im Gefängnis als Aufseherin arbeiten. Scheint ja ein Naturtalent in Sachen Überwachung und Bestrafung zu sein. Sie hat dann beleidigt nachgegeben und ist zurück in ihr Schwesternzimmer gehuscht. Dabei hat sie immerzu an ihrem Schwesternkostüm rumgenestelt. Unsicherheitsgeste. Ich habe gewonnen. Aber allein, wie sie mich anguckt! Bei dem Blick von ihr könnte ich schon wieder durchdrehen. Später, bei der Medikamentenausgabe, hat sie mich dann gar nicht mehr angesehen. Lächerlich, der reinste Kindergarten. Vielleicht sind wir Patienten ja derart kindisch, dass die Pfleger und Schwestern gar nicht anders können, als ihrerseits kindisch zu werden. Färbt vermutlich ab. Sozusagen eine Wechselwirkung. Aber so kindisch finde ich uns ehrlich gesagt gar nicht. Wir sind eher wie Erwachsene, die nicht mehr Kindsein spielen dürfen. Oder die üben sollen, wieder Erwachsene zu sein. Als-ob-Erwachsene. Ganz normal eben. Aber was ist schon normal? Das wissen wir hier alle nicht so genau, trotzdem hält sich jeder für normal. Besonders die, die hier nur zum Arbeiten herkommen.
    Vielleicht war es doch ganz gut, dass ich Laufen gewesen bin. Die anderen waren in der Zwischenzeit bei einem Spieleabend in der Spielgruppe! Spieleabend in der Spielgruppe! Das ist wie der Filmfilm der Woche. Oder toll toll. Lieb lieb. Da sitzen sie dann im Kreis herum und spielen
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