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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
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Schauspielschule. Mittwochs morgens um neun Uhr lagen wir immer zu zehnt in einem winzigen Kämmerlein. Jeder auf einer Isomatte. Der Raum war viel zu heiß und stank nach fremden Füßen. Und dann sollten wir uns über die Tiefenatmung richtig entspannen. »Und jetzt ganz tief in den Bauch atmen. Spürt, wie sich eure Bauchdecke hebt. Und jetzt langsam ausatmen.« Zehn junge Menschen stöhnten mit ihrer etwas aus dem Leim gegangenen Gesangslehrerin um die Wette.
    Als ich dann im Improvisationsunterricht auch noch eine Teekanne und einen Mixer »spielen« sollte, war für mich die Sache mit der Schauspielerei erst mal abgehakt. Damit wollten sie uns beibringen, das Gefühl der Peinlichkeit zu überwinden. Als Mixer?
    Amateurtheater. Amateurhandwerk. Selbst auf der Schauspielschule.
    »Ich weiß genau, was ich kann und was nicht.«
    Mut entwickelt man schließlich nicht notwendigerweise, indem man sich lächerlich macht. Oder meinst Du, dass Du besser vom Drei-Meter-Brett springen kannst, wenn Du vorher mit heruntergezogener Badehose im Ententanz durch das Schwimmbad gewackelt bist? Dazu braucht man auch gar keinen Mut, sondern nur die Fähigkeit, würdelos zu sein. Und das darf man nicht werden, noch nicht einmal, wenn man auf der Bühne einen würdelosen Menschen verkörpert.
    Nein. Das brauche ich nicht. Es ist schlimm genug, wenn man an einer Rolle scheitert. Und auch ganz normal. Aber ich muss mich nicht zum Affen machen, indem ich einen Mixer darstelle. Oder mit Pastellfarben auf Stoffquadraten herumkleckse. Da setze ich mich lieber mit meinem Zeichenblock in den Park und übe für mich allein. Ich bin schlecht im Zeichnen. Ein richtiger Amateur. Und solange das so ist, möchte ich damit niemanden belästigen. Ich wäre so dankbar, wenn die Leute ihr Halbwissen und Halbkönnen und ihre gesamte Halbheit für sich behalten könnten. Klaus Harms hat einmal geschrieben: »Die Halbheit taugt in keinem Stück, sie tritt noch hinters Nichts zurück.« Das habe ich sofort verstanden.
    Ich weiß, die meinen es alle nur gut. Aber gut gemeint haben es in letzter Zeit zu viele mit mir. Nur, dass keiner wirklich versteht, was mit mir abgeht.
    Deshalb schreibe ich Dir, mein Junge. Damit Du das eines Tages verstehst. Vielleicht ist das jetzt alles ein bisschen viel. Ich erwarte auch gar nicht, dass Du es jetzt liest. Irgendwann. Später. Aber ich möchte, dass Du das alles von mir selbst erfährst. Nicht aus zweiter oder dritter Hand. Sonst kommt nämlich am Ende nur noch Quatsch raus, wie bei der »Stillen Post«.
    Wenn ich ehrlich bin, dann tun das Gutmeinen und dass sich alle solche Sorgen machen richtig weh. Denn was soll ich damit anfangen? Es macht mich traurig, weil ich das Gefühl habe, dass niemand mehr normal zu mir ist. Alle sehen mich so besorgt an. »Der ist krank im Kopf. Der hat was.«
    Mir macht das Angst. Aber scheinbar mache ich vor allem den anderen Angst. Stimmt das? Mache ich Dir Angst? Vielleicht. Dabei ist das das Letzte, was ich will. Den Menschen, die ich am meisten liebe, Angst machen. Ich würde Dich das jetzt alles gerne persönlich fragen. Aber wahrscheinlich hättest Du gar keine Antworten auf meine Fragen. Oder würdest nicht verstehen, warum mich das so quält. Außerdem bist Du ja gar nicht hier.
    Mami hat Dich zu Omi gebracht, und das ist auch gut so. Weil ich mich gerade nicht um Dich kümmern kann und weil Mami arbeitet. Für einen Film, in dem erwachsene Männer Zwerge spielen. Das finde ich vollkommen verrückt.
    Aber gut. Ich muss mich jetzt um mich selbst kümmern. Mich selbst in den Griff kriegen. Weil ich gerade nicht wie ein Erwachsener bin. Eher wie ein riesiges unendlich anstrengendes Kind. Hyperaktiv. Das ist so ein Begriff, den Erwachsene heutzutage für jedes etwas lebhaftere Kind verwenden. Eigentlich müsstest Du ihn auch schon gehört haben. Überaktiv könnte man genauso gut sagen. Außerdem bin ich maßlos. Und verantwortungslos. Wie soll ich mich da um Dich kümmern können? Obwohl ich Dir sicher ein wunderbarer Spielkamerad wäre. Ich wäre für jeden Unsinn zu haben.
    Es gelingt mir jedoch kaum, mich um mich selbst zu kümmern. Ein bisschen habe ich nicht nur die Verantwortung für Dich, sondern auch die Verantwortung für mich abgegeben. Dabei möchte ich nichts so sehr als einfach nur Dein Papa sein. Aber das schaffe ich im Moment nicht. Mir geht so viel durch den Kopf und durch das Herz. Ich bin sprunghaft, kann nicht stillsitzen. Ich muss mich die ganze Zeit bewegen.
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