Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Autoren: Sebastian Schloesser
Vom Netzwerk:
Etwas in mir vibriert, brennt, zittert und treibt mich an. Als wäre ich vor etwas auf der Flucht. Nur vor was? Oder vor wem? Vor den Amateuren?
    Das ist nicht adäquat. Eines meiner Lieblingswörter der vergangenen Wochen. Angemessen heißt das. Ich habe meine Welt nicht nur eingeteilt in Profis und Amateure, sondern auch in »angemessen« und »unangemessen«. Für mich als Profi muss natürlich alles adäquat sein. Wenn ich es mir recht überlege, halte ich das auch jetzt noch so.
    Ich glaube, ich habe Muskelkater im Kopf.
    Ich bin kaputt.
    Später mehr.

ich war im Park und wollte mich anschließend kurz hinlegen, aber in unserem Zimmer hielt Wolfgang schon seinen Mittagsschlaf. Er schnarcht etwas. Nur etwas, aber ich bin so empfindlich, dass ich es nicht aushalten kann. Abends versuche ich immer, vor ihm einzuschlafen, was ganz gut klappt. Bisher. Dank der Schlaftabletten. Das klingt ja, als würde ich ein ständiges Loblied auf die Schlaftabletten singen. Dabei ist es nicht ungefährlich, wenn man dauernd welche nimmt, aber ohne sie würde ich momentan durchdrehen. Wie ein Hamster im Laufrad überhaupt keine Ruhe finden.
    Kurz bevor ich hierhergekommen bin, war ich ein Wochenende lang in einer Kurklinik in einem Schloss am See. Da war hier noch kein Zimmer frei, und Du warst schon bei Omi. Sie wohnt ganz in der Nähe, und deshalb bin ich noch auf einen Sprung bei Euch vorbeigekommen. Ich bin mit meinem vollgepackten roten Strich-Achter-Mercedes und Tränen in den Augen vorgefahren. Du hast zum Abschied gar nicht mehr gewunken, weil Du schon wieder mit Spielen beschäftigt warst.
    Ich war ausgerüstet wie für eine mehrwöchige Reise. Hatte meine nagelneue Tennisausrüstung dabei, den roten Koffer, einen Kleidersack aus dem KaDeWe in Berlin mit meinem schwarzen Armani-Anzug. Einen Gitarrenkoffer mit der Westerngitarre, die mir Mami erst eine Woche zuvor zum Geburtstag geschenkt hatte. Und unzählige Bücher und DVD s, die ich nachts im Internet bestellt hatte. Das ganze Zeug passte gerade so in den Kofferraum.
    Den Wagen hat mir übrigens Bernhard Bim Bam, wie Du Deinen Opa nennst, überlassen. Bernhard ist mein Stiefvater. Das Wort mag ich aber nicht. Ich finde, bei Stiefvater oder Stiefmutter denkt man immer an etwas Bösartiges. Wie im Märchen eben. Bernhard ist höchstens dann bösartig, wenn er Hunger hat. Das kann ich allerdings sehr gut verstehen. Geht mir genauso. Bernhard hat ein gutes Händchen für Autos. Den Strich-Achter hat er irgendwo bei Pinneberg aufgetrieben. Ich war sofort hin und weg. Baujahr ’74, also nur drei Jahre älter als ich. 2,3 Liter, Automatikgetriebe, Schiebedach und ein riesiges Lenkrad. Der Wagen ist schwer und gleitet durch die Straßen wie ein dickes Schiff.
    Eine adäquate Karosse für Herrn Schlösser. Passend zu meinem ganzen Auftritt: rasiert, frisches Hemd, geputzte Schuhe, ganz so, wie Bernhard mir das vorgelebt hat. Und weil ich längere Zeit schon kein Auto mehr hatte, was für Bernhard das Unvorstellbarste überhaupt war, hat er mir den Wagen einfach überlassen. Seitdem ist er mein ganzer Stolz.
    In der Klinik in Warnstorf war es wunderschön. Ich hatte ein großes Zimmer mit Blick auf den See. Das Essen war hervorragend. Weil die anderen Patienten hauptsächlich zum Abnehmen dort waren und mit Schonkost vorliebnehmen mussten, war ich einer der wenigen, der drei Gänge Vollkost schlemmen durfte. Neidische Blicke vom Nachbartisch auf den Jungspund mit Burn-out-Diagnose. Grauhaarige Tonne mit traurigen Augen. Mir schmeckt es gleich doppelt so gut. Burn-out heißt übrigens, dass man total erschöpft ist. Ausgebrannt. Die meisten Menschen bekommen ein Burn-out, weil sie zu viel arbeiten. Oder eine Arbeit haben, die noch den letzten Rest Energie aus ihnen heraussaugt.
    Dass das nur die halbe Wahrheit ist, das ist mir schon klar. Ich bin zwar tatsächlich innerlich ausgebrannt, weil die vergangenen Jahre im Theater so aufreibend waren. Das ist übrigens auch eine Erklärung, die Wissenschaftler für meine Meise haben. Die Umstände. Der Stress. Der ungesunde Lebenswandel. Wenig Schlaf. Viel Alkohol oder andere Drogen. Das hatte ich alles reichlich. Aber ich kann auch jetzt, obwohl ich den ganzen Stress nicht mehr habe, den Aus-Schalter nicht finden. Ich drehe mich wie ein Kreisel weiter um mich selbst. Andererseits entspricht mein Zustand – meine Unruhe, meine Reizbarkeit, meine verstärkten Gefühle, meine Schlaflosigkeit, meine Schwierigkeiten, mich auf eine Sache
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher