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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Autoren: Dieter Moor
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nicht lächerlich! Was hätte ich davon, dir was vorzumachen?» Sie beugt sich vor. «Wo ich doch genau weiß, dass du mich sofort durchschauen würdest. Weil man einem Krüpki eben nichts vormachen kann.»
    Krüpki schweigt. Denkt nach. Reibt mit seinen dicken Fingern auf dem Tischblatt. «Na», sagt er, «det stimmt auch wieder. Ich würde dir det nie nicht abnehmen, so ’n Theater.»
    «Eben», bestätigt Sonja.
    «Na», macht Krüpki abermals in einem Ton, den er nur sehr, sehr selten verwendet, es gibt in der Tat höchstens eine Handvoll Menschen, die ihn je vernommen haben – nämlich: kleinlaut. «Das war wohl ein sogenannter blinder Alarm, wie?»
    «Jo», sagt Sonja nur und hat das deutliche Gefühl, dass Krüpki jetzt dringend ein wenig Aufmunterung braucht: «Weißt du, mein lieber Herr Nachbar, Dieter hält öfter mal einfach so inne. Weil ihm was eingefallen ist, weil er einen Anruf gekriegt hat, weil er was gesehen hat oder auch nur einfach so – ohne Grund. Ich kenn das schon bei ihm, das macht der nicht oft, aber immer mal wieder.»
    «Normal ist det aber nicht», grummelt Krüpki.
    «Für manche nicht, für ihn schon. Aber trotzdem: danke, Krüpki, es ist wunderbar von dir, dass du dich kümmerst, wenn dir etwas komisch vorkommt. Ich mag das sehr, es ist mir wichtig.»
    «Ach …», winkt Krüpki ab und erhebt sich. «Also dann …»
    Er geht zur Tür, dreht sich noch mal um: «So, und jetzt fahr ich endlich einkaufen, sonst macht sich meine Lotte Sorgen um mich, und von Sorgen hab ich heute die Schnauze voll, sag ich dir, aber gestrichen. Und was dein Mann da wirklich treibt, allein am Straßenrand, da werd ich ihm jetzt mal gleich auf den Zahn fühlen, da kannste Gift drauf nehmen!»
    Krüpki geht über den Hof, dreht sich abermals um und schreit: «Weißt du, ich sag immer: Lieber einmal mehr, als mehrmals weniger! Wenn du verstehst, was ich meine.»
    «Klar, find ich gut!», ruft Sonja und winkt zum Abschied.
    Er winkt zurück: «Hau rinn, Sonja!», dann biegt er um die Ecke, und weg ist er.
    Wie war das noch mal?, fragt sich Sonja: Lieber einmal mehr, als mehrmals weniger? Sie merkt erst jetzt: Was Krüpki da eben gemeint hat, ist so klar wohl doch nicht.

[zur Inhaltsübersicht]
    Morgengrauen
    Die Sterne sind am Verblassen. Im Osten, hinter den Scherenschnitten der mächtigen Kastanien, schimmert ein Hauch von Hell durch das Laub. Es wird langsam zu Blau werden und dann unmerklich über Silbrig in ein Rosarot übergehen. In einer Stunde wird kraftvolles Orange daraus geworden sein, die herbstlichen Blätter werden das Morgenlicht reflektieren in intensivem, künstlich wirkendem Gold. Der Horizont wird einen riesigen glutroten Ball aus sich herauspressen, in dessen Licht der Reif auf der Wiese leuchten wird, wie filigrane, rot glühende Asche. Die reifbedeckten Schafe auf der Weide werden aussehen wie heiße Aschehügelchen, sie werden sich, eines nach dem anderen, erheben und umherwandern, dunkelgrüne Flecken im Gras werden markieren, wo sie gelegen haben. Und dann werden die Lichtstrahlen intensiver, der Reif wird flüssig, durchsichtig, die winzigen Tröpfchen werden die Sonne brechen und die Wiese in ein gleißendes Meer aus Myriaden von funkelnden Diamantsplittern verzaubern. Die Wollmäntel der Schafe werden überzogen sein mit glitzernden Hochzeitsschleiern aus «Tausend und einer Nacht». Welch ein Reichtum, welche Fülle, welch ein Geschenk!
    Ich genieße den frühen Morgen, diese Zeit, die niemandem gehört. Nur mir und meiner Sonja. Sie schmiegt ihren Rücken in die Matratze, genießt die schläfrig warme Wohligkeit unter der Decke und inhaliert den Duft ihres Kaffees. Von hier, von meinem Riesensessel aus, kann ich ihr Gesicht im zähflüssig durch die großen Dachfenster sickernden Morgenschimmer erkennen, als dunkle Insel im Kissenweiß. Aber ich bin sicher: Ihre Augen sind offen und hellwach. Auch sie genießt die Ouvertüre dieser lautlosen Oper aus Licht und Farben, die wir schon so oft erlebt haben und die uns doch immer wieder mit einer weiteren überraschenden Neuinszenierung beglückt.
    Wohlig kuschele ich mich tiefer in den Sessel, genieße einen Schluck Milchkaffee, wende meinen Blick wieder nach draußen und seufze zufrieden.
    «Was seufzt du, mein lieber Maaaaan?» Sonjas Stimme ist bettwarm, leise, fast ein Schnurren.
    Ich hole tief Luft und lasse sie mit einem gedehnten «Aaaaach» aus meiner Brust. «Wir haben das gut gemacht, mein Schatz, richtig gut.»
    «Was
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