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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Kleidung. Nun wurde das volle Ausmaß der Verletzungen deutlich: Von Kopf bis Fuß prangten dunkle Blutergüsse in allen Größen auf der hellen Haut. Der Rücken sah noch schlimmer aus als Bauch und Brust, von den Beinen ganz zu schweigen. Es gab keine Position, in der der junge Mann schmerzfrei liegen könnte, also bettete Geron ihn wieder auf den Rücken, diesmal etwas behutsamer. Dennoch wimmerte er bei jeder Bewegung und blieb anschließend verkrampft liegen. Das Atmen bereitete ihm offenbar große Mühe und noch immer stand heillose Angst in seinen Augen.
    „Was hast du?“, brummte Geron. Wie erwartet bekam er keine Antwort. Er hatte nichts, womit er ihn abtrocknen könnte und besaß lediglich eine Decke. Ihm jetzt etwas anzuziehen wäre sinnlos, darum beschloss er, ihn erst einmal so zu belassen, auch wenn er erbärmlich zitterte.
    Er nutzte die Zeit, sich dicht neben dem Gefangenen niederzulassen, ihm die Arme wegzuziehen und sich seinem Brustkorb zu widmen. Geron verstand wenig bis gar nichts von Medizin und Wundversorgung, das einzige was er sicher wusste war, dass gebrochene Rippen gefährlich sein konnten, falls sich Splitter lösten und in die Lunge bohrten. Derart schwer, wie der junge Mann atmete, könnte genau das geschehen sein – in diesem Fall wollte Geron ihm rasch das Genick brechen und damit jegliches Elend beenden.
    Sobald seine Hände allerdings die Haut berührten, krümmte der Gefangene sich unter ihm, zog die Beine an, versuchte schwach, ihn abzuwehren.
    Hatte er ihm weh getan? Irritiert rückte Geron ein Stück ab, betrachtete seine Hände, dann den nackten Mann, der verzweifelt seine Scham zu bedecken versuchte – und verstand.
    „Du glaubst, ich habe dich mitgenommen, um mich mit dir zu vergnügen?“, fragte er betroffen.
    Zaghaftes Nicken.
    Was soll er auch sonst denken, nachdem er den ganzen Tag unbeachtet im Regen hocken musste?
    „Hör zu, es hat ziemlich lange gedauert, den Kommandanten davon zu überzeugen, dass du nicht verhörtauglich werden kannst, wenn du ohne Hilfe die Nacht im Freien verbringst. Ich habe dich nicht davor gerettet, wie ein Hund zu Tode geprügelt zu werden, damit du anschließend erfrierst. Ich will dir helfen, so gut ich kann, sonst nichts. Verstehst du?“
    Der junge Mann betrachtete ihn lange und intensiv, bevor er nickte. Die Angst und Anspannung in seinem Gesicht ließen etwas nach. Geron rutschte wieder näher heran und präsentierte seine leeren Hände.
    „Ich werde nachsehen, ob du gebrochene Rippen hast. Das wird sicherlich weh tun, aber mehr geschieht dir nicht.“
    Mit einem weiteren Nicken wandte der junge Mann den Kopf ab und ließ die zur Abwehr erhobenen Arme sinken. Ein Bein blieb angezogen, er versuchte jedoch nicht, Geron zu hindern, als dieser behutsam über die schwarz und blau verfärbte Haut tastete.
    „Wie alt bist du?“, fragte er im möglichst nebensächlichen Plauderton. Wenn er schon so etwas wie eine Vertrauensbasis geschaffen hatte, konnte er das direkt ausnutzen. Zumal der Mann sich tapfer beherrschte, trotz seiner Erschöpfung und der offensichtlichen Schmerzen.
    „Dreiundzwanzig.“ Das Wispern war rau und kaum verständlich. Dreiundzwanzig. Fünf Jahre jünger als er selbst. Mindestens drei Jahre älter, als er ihn geschätzt hatte. Geron schluckte nervös. Der schlanke, athletische Körper gefiel ihm mehr, als er sich bis jetzt hatte eingestehen wollen. Auch das Gesicht war ein angenehmer Anblick und Geron hatte schon immer eine Schwäche für blonde Männer gehabt.
    Bis gerade eben hatte er diesen Gedanken damit unterdrücken können, dass er kein Interesse an halben Kindern hatte, aber nun wusste er, dass sein Gefangener keineswegs zu jung für ihn war …
    Hastig riss Geron sich zusammen. Der Mann beobachtete ihn scharf – war das plötzlich aufgeflammte Begehren offensichtlich gewesen?
    Das letzte Mal ist zu lange her. Er ist ein Feind, er wurde fast zum Krüppel geschlagen, er kann selbst leichte Berührungen kaum ertragen.
    Geron beschloss, seinen Freund Noar in sein Bett einzuladen, wenn sie zum Hauptstützpunkt zurückkehrten. Als Bannerführer hatte er lediglich den Kommandanten, der ihn an Rang übertraf. Krazon wusste, dass Geron sich nicht bloß an Männer hielt, weil er hier am Grenzposten keiner Frau habhaft werden konnte. Solche Zweckgemeinschaften gab es häufiger, wurden zumeist diskret übersehen und endeten, sobald sie die Wildnis hinter sich lassen konnten. Geron allerdings hatte grundsätzlich
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