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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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dieses Geheimnis nicht gelüftet –, ihr Zuhause war es gewiss nicht. Sie gehörte ganz und gar nicht zu dem Typus, den die Franzosen eine femme d’intérieur nennen, und ihre Haushaltsführung war von einer Zwanglosigkeit, die ans Chaos grenzte. Und leider vermochte auch Boy ihr Interesse nicht zu fesseln. Was ihn betraf, so war eine vollständige Desillusionierung eingetreten, und sie begegnete ihm mit der gleichen kurz angebundenen Kälte, die früher die Haltung zu ihrer Mutter geprägt hatte, nur dass sie sich vor Lady Montdore immer ein wenig gefürchtet hatte, während sich nun Boy ein wenig vor ihr fürchtete.
    Boy war mit seinem neuen Buch sehr beschäftigt. Es sollte Drei Herzöge heißen, und die drei Herren, die es porträtierte, waren in Boys Augen typische Vertreter der Aristokratie des 19. Jahrhunderts in ihren drei Ländern. Die Herzöge waren Paddington, Souppes und Pincio, allesamt, so schien es, Meister in den Künsten des Klatsches, des Ehebruchs und der Schlemmerei, Mitglieder des Pariser Jockey-Klubs, Spieler und Sportsleute. Er besaß ein Foto, das als Frontispiz in sein Buch aufgenommen werden sollte, auf dem sie alle drei bei einer Jagd in Landçut zu sehen waren. Sie standen vor einem Acre toter Tiere und sahen mit ihren Bäuchen, ihren Bärten, ihren Jagdmützen und ihren weißen Gamaschen wie eine Dreifaltigkeit von lauter König Edwards aus. Polly erzählte mir, den Abschnitt über Pincio habe er noch in Sizilien beendet, der derzeitige Herzog selbst habe ihm die notwendigen Dokumente zur Verfügung gestellt, und nun beschäftige er sich, unterstützt vom herzoglichen Bibliothekar, mit Paddington und fahre jeden Morgen mit seinem Notizbuch im Wagen nach Paddington Park. Wenn er diesen Abschnitt beendet habe, wolle er nach Frankreich und dort die Souppes heimsuchen. Niemand hatte etwas dagegen, dass Boy die Vorfahren einer Familie »behandelte«. Er zeichnete immer ein reizendes Bild von ihnen, stattete sie mit köstlichen Lastern aus und lieferte außerdem eine Art Garantie, sozusagen ein Zertifikat altadeliger Abkunft, denn er beschäftigte sich mit niemandem, dessen Familie nicht in die Zeit weit vor der Eroberung durch die Normannen zurückreichte, oder der, soweit es sich um Ausländer handelte, nicht wenigstens einen byzantinischen Kaiser, einen Papst oder einen Bourbonen vor Ludwig XV. in seinem Stammbaum aufwies.
    Der Tag des Balls in Montdore House kam und verging, doch Pollys Baby erschien nicht. Tante Sadie meinte immer, die Frauen würden sich mit den Daten, an denen sie ihre Kinder erwarteten, selbst beschwindeln, um die Wartezeit abzukürzen, aber wenn das so war, dann mussten ihnen die letzten ein, zwei Wochen endlos vorkommen. Polly beanspruchte mich sehr und schickte an den meisten Tagen einen Wagen, der mich für ein oder zwei Stunden nach Silkin brachte. Das Wetter war endlich herrlich geworden, wir konnten kleine Spaziergänge machen und uns, in Decken gehüllt, in eine geschützte Ecke des Gartens setzen.
    »Findest du es nicht auch wunderbar«, sagte Polly, »wenn es nach dem Winter plötzlich so warm wird und alle Ziegen und Hühner so glücklich aussehen?«
    Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie sich für das Kind, das sie bekommen sollte, sonderlich interessieren, aber einmal meinte sie: »Findest du es nicht komisch, dass da nun Talkumpuder und alles Mögliche und die langweilige Schwester herumstehen und auf jemanden warten, der gar nicht da ist?«
    »So kommt es mir auch immer vor«, sagte ich, »aber sobald sie da sind, werden sie ein so fester Teil deines Lebens, dass du dir gar nicht mehr vorstellen kannst, wie es ohne sie war.«
    »Ja, vermutlich. Wenn sie sich nur ein bisschen beeilen würden. Wie war es denn bei dem Ball – hast du etwas gehört? Du hättest wirklich hingehen sollen, Fanny!«
    »Ich konnte nicht. Aber der Direktor des Wadham College und Norma waren da – nicht zusammen, aber sie sind die Einzigen, mit denen ich seither gesprochen habe. Anscheinend war es sehr prächtig, Cedric hat sich fünfmal umgezogen, er fing an mit einem Rosenblütentrikot und einer rosa Perücke, und am Schluss war er Doris Keane in Romance mit einer schwarzen Perücke und trug echte Diamanten an seiner Maske. Deine Mutter war eine junge Venezianerin, sodass sie ihre neuen Beine zeigen konnte, sie standen in einer Gondel und überreichten allen wunderbare Preise – Norma bekam eine silberne Schnupftabakdose –, es dauerte bis sieben. Die Leute können
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