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Liebe und Verrat - 2

Liebe und Verrat - 2

Titel: Liebe und Verrat - 2
Autoren: Michelle Zink
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führt.
    Ich bin in einem Wald, den ich instinktiv als den Hain um Birchwood Manor erkenne, mein Zuhause, das ich vor acht Monaten verließ, um nach London zu kommen. Es gibt wohl Menschen, die behaupten, alle Bäume sähen gleich aus, und die es für unmöglich halten, den einen vom anderen zu unterscheiden, aber dies ist die Landschaft meiner Kindheit, und ich erkenne sie ohne den Schatten eines Zweifels.
    Die Sonne fällt in Flecken durch das Laub hoch über meinem Kopf. Es ist taghell, sodass es sowohl später Morgen als auch früher Abend sein kann, oder jede beliebige Stunde dazwischen. Ich fange an, mich zu fragen, warum ich hier bin – selbst wenn es sich um einen Traum handelt. Denn selbst meine Träume scheinen neuerdings einem Ziel zu folgen. Da höre ich hinter mir meinen Namen.
    »Li-a … Komm, Lia …«
    Ich drehe mich um. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich die Gestalt neben mir zwischen den Bäumen wahrnehme. Das Mädchen ist klein und so reglos wie eine Statue. Ihre Locken schimmern golden, selbst in dem gedämpften Licht des Waldes. Obwohl es beinahe ein Jahr her ist, seit ich sie in New York sah, würde ich sie überall erkennen.
    »Ich muss dir etwas zeigen, Lia. Komm schnell.« Ihre Stimme ist noch dieselbe – ein kindlicher Singsang, genauso wie damals, als sie mir das Medaillon mit dem gleichen Zeichen wie auf meinem Handgelenk überreichte, das mich seitdem überallhin begleitet.
    Ich warte einen Moment. Sie streckt die Hand aus und winkt mich zu sich mit einem Lächeln, das bezaubernd wäre, hätte es nicht längst alle Unschuld verloren.
    »Beeil dich, Lia. Du willst sie doch nicht verpassen.« Das kleine Mädchen dreht sich um und rennt voraus. Mit wippenden Locken verschwindet sie zwischen den Bäumen.
    Ich folge ihr, weiche Bäumen und moosbedeckten Steinen aus. Meine Füße sind nackt, aber ich fühle keinen Schmerz, während ich über den harten Waldboden laufe. Die Kleine ist so grazil und flink wie ein Schmetterling. Ständig verschwindet sie aus meinem Blickfeld, um kurz darauf wieder aufzutauchen. Die weiße Schürze weht wie ein Geist hinter ihr her. Ich muss mich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten. Mein Nachthemd verfängt sich in Zweigen und Ästen. Ich schiebe sie mit den Armen beiseite, in dem Bestreben, das kleine Mädchen nicht aus den Augen zu verlieren. Aber es ist zu spät. Gleich darauf ist sie verschwunden.
    Ich bleibe stehen und drehe mich im Kreis, suche den Wald nach ihr ab. Ich bin verwirrt, mir ist schwindlig, und ich muss gegen die Panik ankämpfen, als mir klar wird, dass ich mich in dem Dickicht aus gleichförmigen Bäumen und dichtem Laubwerk hoffnungslos verirrt habe. Sogar die Sonne ist meinem Blick verborgen.
    Im nächsten Moment kehrt die Stimme des Mädchens zurück. Ich rühre mich nicht, lausche bloß. Es ist unzweifelhaft die gleiche Melodie, die sie auch damals in New York summte, als sie mir das Medaillon überreicht hatte und sich hüpfend von mir entfernte.
    Ich folge dem Lied, während mich eine Gänsehaut überzieht. Die zarten Härchen auf meinem Nacken richten sich auf, aber ich kann nicht umkehren. Ich folge der Stimme, um dicke und dünne Baumstämme herum, bis ich den Fluss höre.
    Dort werde ich das Mädchen finden. Ich bin mir ganz sicher. Und als ich zwischen den Bäumen hindurch ins Freie trete, liegt das Wasser vor mir und ich kann das Mädchen wieder sehen. Sie kniet am anderen Ufer, über das Wasser gebeugt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie die reißende Strömung durchquert hat. Ihr Summen ist melodisch, aber mit einem unheimlichen Unterton, der mir einen Schauer über den Rücken jagt. Langsam gehe ich auf das diesseitige Ufer zu.
    Sie scheint mich nicht zu sehen. Sie summt einfach weiter ihre Melodie und fährt mit den Händen durchs Wasser. Ich weiß nicht, was sie dort in der Klarheit des Flusses sieht, aber sie starrt mit äußerster Konzentration hinein. Dann blickt sie auf und ihre Augen treffen meine.
    Ihr Lächeln ist mir genauso unheimlich wie ihr Summen. Es brennt sich in meine Gedanken ein. »Oh, gut. Ich freue mich, dass du hier bist.«
    Ich schaue sie an. »Warum bist du zu mir gekommen? Hast du noch etwas, das du mir geben möchtest?«
    Sie schaut nach unten, streichelt mit den Händen das Wasser, als würde sie mich nicht hören.
    »Hallo?« Ich versuche, meiner Stimme mehr Gewicht zu verleihen. »Ich möchte gerne wissen, warum du mich hierhergeführt hast.«
    »Nicht mehr lange.« Ihre Stimme klingt
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