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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna
Autoren: Jérômel Savary
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Hochzeitsmarsches, in einer Prozession die Stufen hinauf. Jo spendete den Paaren mechanisch Applaus, gemeinsam mit den anderen Gästen.
    Beim dritten Paar, beim dritten Hochzeitsmarsch, begann er in seine Suppe zu weinen.
     
    ––– ¤ –––
     
    Anne war am späten Nachmittag in Havanna gelandet. Der Flughafen war leer.
    Doch Régis war in seinem Büro.
    Er lauschte lächelnd Annes Geschichte.
    »Der gute Jo, das sieht ihm ähnlich! … Zu Weihnachten hat er sich auch so was geleistet! … Ich glaube, da wollte er auch zu Ihnen.«
    »Stimmt! … Er ist verrückt, wissen Sie!«
    »Verrückt vor Liebe, ja!«, entgegnete Régis, der seit dem Beginn der Unterhaltung auf Annes Beine schielte. »Im Grunde ist es so besser! … Nach dem Tod der Kleinen.«
    Plötzlich wirkte er verlegen. »Sie sind doch auf dem Laufenden?«
    Sie nickte.
    »Der Tod der Kleinen hat ihn völlig aus der Bahn geworfen … Er ist in letzter Zeit nicht so ganz auf der Höhe … Er hat so abgenommen! Und die Arbeit hat er vernachlässigt … Jedenfalls wäre es besser, wenn er nicht mehr hier arbeiten würde … Hier gibt es zu viele Erinnerungen … Und außerdem, wenn er Sie so sehr liebt, muss er nach Paris zurück!«
    Anne hatte Régis unterbrochen, hatte seine Hand genommen und ihn gefragt: »Régis? Tun Sie mir einen Gefallen?«
    »Natürlich.«
    »Ich möchte, dass Sie mich zum Haus der Kleinen bringen.«
     
    ––– ¤ –––
     
    Reglita spielte im Hof mit ihrem Dreirad, das sich bereits in einem bemitleidenswerten Zustand befand. Sie sah die große weiße Frau neugierig an.
    »Mamita! Mamita! Es el amigo de Yoyo!«
    Mamita kam die Treppe herunter. Sie erkannte Régis und wusste sofort, wer Anne war.
    Und so verzog sich ihr Gesicht zu einer schmerzerfullten Grimasse und sie stieß mühsam hervor: »Está muerto?«
    »Nein, er ist nicht tot! Er lebt, er schickt mich, um Ihnen …«
    »Ah, Dios mío! … Vengan! Suban! Vamos a tomar un café.«
    Im einzigen Zimmer bemerkte Anne sofort Jos Foto, das neben dem von Nieve auf dem Altar stand.
    Es war das erste Mal, dass sie Nieve sah.
    Mamita servierte den Kaffee und öffnete die Flasche Rum, die Jo ihr schickte.
    »Ihre Tochter war schön.«
    Régis übersetzte. Die Alte nickte. Aber sie lächelte nicht mehr.
    Sie hatte alles begriffen. Und als sie ihren Rum trank, sagte sie sich, dass es normal war, dass Jo jung und seine Frau schön war, und dass Nieve tot war …
    Und als Anne ihr etwas verlegen das Bündel mit den Zehndollarscheinen reichte, begann sie zu weinen.
    Mit den grünen Scheine in der Hand stand sie da und schaute Anne direkt in die Augen, die ihren Blick erwiderte.
     
    »Er wird wiederkommen … oft«, flüsterte Anne der Alten zu.
    »Nein … er wird niemals wiederkommen! … Ich weiß es! … Oder vielleicht doch! … Wenn Sie ihm das geben! …«
    Und Mamita hatte einen der silbernen Zöpfe vom Altar genommen und Anne zitternd hingehalten.
    »Wir sind schwarz … wir sind arm, aber meine Tochter war das schönste Mädchen der Welt … und sie hat Jo so sehr geliebt! … Sagen Sie ihm, dass er den Zopf auf seinen Altar legen soll, in Frankreich, und dass er nicht vergessen soll, ihn jeden Abend mit Rum zu begießen … und dass er eine Kerze anzünden und unsere Geschichte aufschreiben soll! … So wird meine kleine Nieve immer an seiner Seite sein … lebendig!«
    Als sie die Treppe hinunterging und die kleine Reglita umarmte, hörte Anne, wie die Alte leise sang, während sie ihren Altar mit Rum und Tränen goss.
     
    ––– ¤ –––
     
    Ein heftiges Tropenunwetter ging über der Autobahn nach Pinar del Río nieder und Anne musste ihren Wagen unter einer Brücke anhalten, weil sie nichts mehr sehen konnte. Dann hörte der Regen auf und die Sonne wärmte das Land, das sich schnell mit bunten Nebelschleiern überzog.
    Während sie die letzten Kurven nahm, die zum Haus des Alten führten, überfiel sie auf einmal eine schreckliche Melancholie. Sie bereute, die Alte besucht zu haben.
    Sie hätte ihr das Geld über Régis zukommen lassen sollen … Sie hatte nicht das Recht gehabt, ihren Traum zu zerstören … Es war Jos Welt, nicht die ihre.
    Dann dachte sie an Jo.
    Würde es mit ihnen beiden gut gehen? … Würde er das alles ertragen können, Belleville, den alten Professor im Weekend, seinen leeren Rechner am Tischende und den Chinesen gegenüber? Vielleicht sollten auch sie woanders hingehen …
    Dann lächelte sie und sagte laut: »Ich habe eine Idee
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