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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna
Autoren: Jérômel Savary
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flüchten. »Du hast mich unterbrochen, Liebling! Es ist furchtbar, so werde ich es nie schaffen! Ich weiß ja, dass du nichts dafür kannst, aber die geringste Kleinigkeit lenkt mich ab. Am besten wäre, ich würde allein leben.«
     
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    Sie waren über die Osterferien sogar aufs Land gefahren, in ein kleines Landhaus im Corbières, das einem Kollegen von Anne gehörte. Sie machte sich nahezu unsichtbar, ließ ihn stundenlang allein auf der Terrasse, vor seinem Rechner. Aber er ertrug ihre – selbst stumme – Anwesenheit nicht, und wenn sie auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer ins Badezimmer schlich, sprang er wütend auf und begab sich fluchend auf fruchtlose Spaziergänge durch die Heide.
    Jo war schon lange nicht mehr in seine Frau verliebt. Das Abflauen seiner Gefühle für sie datierte er in die Zeit, in der er angefangen hatte, an etwas anderes zu denken, wenn sie sich liebten. Genauer gesagt, an jemand anderen: eine verflossene Geliebte, eine Frau im Kostüm, die er am Morgen im Vorübergehen gestreift hatte, oder seiner Phantasie entsprungene, gerade geschlechtsreife Lolitas.
     
    Dabei war Anne hübsch, sie war groß und schlank und hatte große, feste Brüste.
    Jo liebte die Einsamkeit. Abgesehen von ein paar Arbeitskollegen, vor denen er zwei-, dreimal im Jahr seine Selbstmordversuche simulierte, war der einzige Mensch, den er regelmäßig sah, seine Frau.
    Anne war für ihn alles: Mutter und Gefährtin, Prügelknabe und Muse, Vormund und Spielkameradin.
    Sie liebten sich regelmäßig, variierten dabei stets ihre Spielarten. Auf diesem Gebiet verstanden Anne und Jo sich blendend.
    Aufgrund einer stillschweigenden Übereinkunft hatten sie kein Kind bekommen. Das hätte Jos unruhigem Geist, seiner Karriere als Schriftsteller, seinem Freiheitsdrang im Wege gestanden. Und jeden Tag an der École Alsacienne von aufgedrehten Kindern umgeben zu sein hatte auch Anne kühler werden lassen.
    Dennoch war sie zwei Jahre zuvor aus Versehen schwanger geworden. Jo hatte prompt die klassische Show abgezogen und Begeisterung gemimt. »Liebling, das ist das Beste, was uns passieren konnte! Wir behalten es und ändern unser Leben! Wenn ich etwas zu schreiben habe, kann ich es auch gut mit drei Kindern auf dem Schoß in einer Küchenecke tun, wie Balzac oder Offenbach.« Dann, einige Wochen später, trafen sie die Entscheidung, sich von dem Kind zu trennen. »Wir wollten es nicht. Es würde nur unglücklich werden.«
    Nach einer kurzen Bedenkzeit – es war allerhöchste Zeit – musste Anne in eine Privatklinik.
    Nach der Operation hatte Jo sie besucht, einen großen Blumenstrauß in der Hand. »Ich Idiot. Man feiert doch keine Abtreibung.«
    Jo glaubte, dass Anne an jenem Tag aufgehört hatte, ihn zu lieben, und dass sie seitdem vermutlich Liebhaber gehabt hatte. Jeden Freitag traf sie sich mit ihren Kollegen zum Essen. Ein Mal im Monat kamen sie zu ihnen nach Hause. Jo hasste diese Abendessen Möchtegern-Intellektueller, die feierlich die Leitartikel des Nouvel Observateur oder des Télérama der vergangenen Woche zum Besten gaben und dabei taten, als hätten sie sie sich selbst ausgedacht. Besonders einer von Annes Kollegen nervte ihn, ein junger Französischlehrer mit rebellischer Haarsträhne, der bereits drei Werke verbrochen hatte, eines davon ein Roman, den er Anne gewidmet hatte: »Für Anne, die Stille«.
    Woher wollte dieser Blödmann wissen, ob sie still war? Da er ein ziemlicher Macho war, und faul obendrein, hatte Jo seinen Verdacht schnell verdrängt und beschlossen, dass sie ihm, alles in allem, treu geblieben war. Und vielleicht war sie das auch.
    So ist das Leben, mein alter Jo, sagte er sich, die Jahre vergehen, man bleibt aus Gewohnheit zusammen, nicht wirklich unglücklich, aber glücklich eben auch nicht.
    »Warum holst du nicht dein Lehrerexamen nach?«, fragte Anne ihn eines Tages. »Dann könntest du auch unterrichten! So hättest du wenigstens eine Grundlage, vielleicht hättest du so mehr Muße zum Schreiben.«
    »In meinem Alter soll ich noch mal auf die Uni gehen und mit lauter kleinen Mädchen studieren?«
    »Eben, du stehst doch auf kleine Mädchen, und außerdem bist du noch jung.«
    Tatsächlich wirkte Jo mit seinen dreißig Jahren wie ein sitzen gebliebener Oberstufler.
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    »Du gehst mir auf die Eier!«, sagte sein Vater oft zu ihm. »Ich hab nicht ein Haar mehr am Sack, aber ich bin immer noch voller Lebenssaft wie ein junger Mann, und
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