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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna
Autoren: Jérômel Savary
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könnte.
    Zum Hochseefischen war der Canal Saint-Martin nicht wirklich geeignet. Ebenso wenig für Selbstmord – zu eng, zu viele Passanten. Außerdem wäre es eine Beleidigung für Carné und Jouvet gewesen. Und vor allem für Arletty, die Diva aus Carnés Meisterwerk, die diesen Ort immer noch beseelte, vierzig Jahre nachdem man die Festbeleuchtung abgenommen hatte.
    »Atmosphäre, Atmosphäre! Seh ich so aus, als hätt ich Atmosphäre?«
     
    ––– ¤ –––
     
    Als Anne um fünf Uhr mit ihren Einkäufen zurückkam, verließ Jo unter dem Vorwand, dass sie ihn gestört habe, die Wohnung und fluchte im Bistro an der Ecke vor einem Suze mit Eis vor sich hin. Genau dort, im Week-End, in dem sich auch ein PMU, eine städtische Wettannahmestelle befand, in diesem Bistro an der Ecke Rue de l’Atlas, hatte er den »Professor« kennengelernt.
     

 
     
     
    2
     
    D ER P ROFESSOR
     
     
     
    Der Professor war ein professioneller Freund von Pferderennen. Er verdiente mit ihnen seinen Lebensunterhalt und behauptete, dass seine Gewinne keineswegs dem Zufall zu verdanken seien, sondern das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Pferden.
    Dabei gab seine äußere Erscheinung durchaus Anlass zu Misstrauen. Der Professor sah aus wie ein Obdachloser: Er hatte eine Visage wie Michel Simon, die von einer blatternarbigen Nase wie der von W. C. Fields verziert wurde, und zu einem alten, schäbigen Anzug trug er abgetretene Basketballschuhe.
    Schon morgens thronte er in einer Ecke des Bistros vor einem kleinen runden Tischchen, auf dem sich Pferdezeitschriften türmten. Er schien jedes Pferd von Geburt an zu kennen und war, nach Durchsicht seines Archivs, in der Lage, zu sagen, wie es zwei oder drei Saisons zuvor abgeschnitten hatte.
    Nach stundenlangen Studien begab er sich in den hinteren Bereich des Saales und stellte sich vor dem vergitterten Schalter des PMU in die Schlange.
    Natürlich rühmte sich der Professor wie alle Spieler seiner Siege und verschwieg geflissentlich seine Verluste.
    Eines Tages, als er einer Gruppe staunender Chinesen tausend Francs zeigte, die er dank seiner »Wissenschaft« gewonnen hatte, hatte Jo sich ihm genähert.
    »Sagen Sie, Professor, kann man bei Rennen wirklich mit Hilfe der Wissenschaft gewinnen?«
    »Komm am Sonntag mit mir und du wirst es sehen!«
     
    ––– ¤ –––
     
    Am nächsten Sonntag also fanden sie sich bei strahlendem Wetter auf der Pferderennbahn in Vincennes wieder. Unter den großen Jahrhundertbäumen des Plateau de Gravelle, das von Vogelgesang widerhallte, picknickten Familien.
    Die in Scharen heranströmenden Wettlustigen waren gut aufgelegt. Vor einem Rennen herrscht immer allgemeiner Optimismus, der erst hinterher schwindet.
    Als Jo am Treffpunkt ankam, saß der Professor auf einer Bank, seinen Aktenstapel zur Hand, und sprach gerade zu einer Gruppe von Wettern, die sich dicht um ihn drängten.
    Der Knilch musste ein echter Crack sein. Alle hingen an seinen Lippen, suchten seinen Rat.
    »Professor! Professor!«, brüllte ein Junge im Trikot eines Radrennfahrers aus dem Velodrom La Cipale. »Was sagt die Wissenschaft heute?«
    Auf eine Geste des Professors hin trat Stille ein und mit schrecklich hohler, orakelhafter Stimme sagte er: »Meine Herren! Heute empfiehlt die Wissenschaft, dass man nicht wetten soll!«
    Dann stand er lachend von seiner Bank auf und ging, gefolgt von Jo, zu den vor dem Eingangstor aneinandergereihten Bretterbuden und schloss eine Wette ab.
    Der Professor setzte eine große Summe. Jo tat es ihm nach, setzte allerdings einen niedrigeren Betrag. Zwar hatte er zweitausend Franc am Geldautomaten gezogen, zögerte jedoch, alles auf nur ein Pferd zu setzen. Am Ende des Nachmittags hatte Jo alles verloren.
    Dem Professor war es nicht viel besser ergangen. Zu Fuß kehrten sie nach Belleville zurück und legten hier und da eine kleine Rast ein, um ein Gläschen zu trinken, das der Professor stolz bezahlte. »Das erfordert jahrelange Studien, Kleiner! Die Wissenschaft, die Wissenschaft!«
     
    ––– ¤ –––
     
    Anne war an jenem Abend spät nach Hause gekommen. Er hatte sie abgefangen, als sie aus der Dusche kam; das Wasser rann noch an ihren schweren Brüsten herab. Jo liebte es, sie ohne Vorankündigung zu nehmen, auf dem Küchentisch, auf dem Badewannenrand, im Treppenhaus. Sie ließ es lächelnd geschehen. Doch an jenem Sonntag hatte sie sich ihm entzogen.
    »Lass mich, Jo! Wo warst du?«
    »Ich war beim
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