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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel
Autoren: Emma Sternberg
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Unterhöschen.
    Wer auch immer da versucht, mich anzurufen, er gibt nicht auf. Das Büro! Ganz kurz durchzuckt mich ein Schreck – es ist offensichtlich schon ziemlich spät, aber dann fällt mir ein, dass es gar nicht das Büro sein kann. Ich bin arbeitslos, seit gestern.
    Und plötzlich weiß ich auch, woher ich die Kopfschmerzen habe. Ich habe mich so sehr betrunken, ich dürfte bis Ende der Woche Restalkohol haben. Aua.
    Das Telefon klingelt weiter. Ich lasse einen Arm aus dem Bett fallen und taste blind auf dem Fußboden herum – Buch, Haargummi, Kaffeelöffel, halb volle Packung Choco Crossies, zertretene Choco Crossies, leere Fünf-Minuten-Terrine, gebrauchtes Taschentuch. Dann stoße ich gegen eine Flasche, eine Flasche Whisky, wie ich bemerke, als sie über das Parkett kullert, eine Flasche Chivas Regal, die offensichtlich leer ist. Ganz leer. Kein Wunder, dass mein Kopf so dröhnt. Ich wusste gar nicht, dass ich Whisky im Haus hatte.
    Stifte, ein Blätterstapel mit Gummi drum herum, noch ein Buch, leere Wasserflasche, dann erreichen meine Fingerspitzen endlich das Telefon. Ich mache den Arm noch einmal ganz lang und kann es endlich greifen. Es klingelt immer noch, und ich sehe widerwillig nach, was auf dem Display steht: Eltern. Und weil mein Vater eigentlich nur anruft, wenn es um diesen Aktienfond geht, in den er jahrelang für mich eingezahlt hat (und dessen Wert inzwischen in den Negativbereich geht), kann Eltern nur heißen: meine Mutter.
    Das Letzte, was ein Mensch, der gerade seinen Job verloren hat, gebrauchen kann, ist meine Mutter.
    Ich weiß ganz genau, was passieren würde, wenn ich jetzt dranginge und ihr die Wahrheit sagte: Sie würde sich maßlos aufregen, mich mit vorwurfsvoller Stimme an ihre angeborene Herzschwäche erinnern und mir dann subtil zu verstehen geben, dass ich an meiner Situation ja offensichtlich selbst schuld sei, man sehe sich nur mein Magisterzeugnis an. Dann würde sie alle vier Stunden anrufen, um zu hören, ob es schon etwas Neues gibt. Manchmal frage ich mich wirklich, wie man so sadistisch und zugleich so masochistisch sein kann wie sie.
    Das Telefon klingelt ein allerletztes Mal, dann ist es endlich still.
    Ich lege mich wieder auf den Rücken und versuche zu rekonstruieren, was gestern geschehen ist. Keine leichte Übung.
    Also, ganz langsam:
    Wie bei allen negativen Dingen im Leben sah am Anfang alles noch ganz positiv aus. Es begann gestern Vormittag, als ich mit dem Manuskript von Ziele verwirklichen durch visuelle Autosuggestion auf dem Weg in die Herstellung war. Auf dem Flur begegnete mir Olaf Schwarz, der Chef des Schwarz Verlags, in dem ich als Lektorin arbeite (na gut, arbeitete) – ein dicklicher Mann mit Halbglatze, viel Energie und schwachen Nerven. Im Vorbeigehen rief er mir zu, ich möge doch gleich mal in seinem Büro vorbeikommen, natürlich erst, wenn ich meinen Gang erledigt hätte. Ich schenkte ihm mein breitestes Mit-Vergnügen-Chef- Lächeln, legte den Papierstapel auf den Schreibtisch der zuständigen Herstellerin Nadine ab und hinterließ ihr, obwohl wir uns nicht ausstehen können, ein schleimiges Post-It mit einem dümmlichen Smiley und einem aufgesetzt fröhlichen Danke!!!
    Dann schlenderte ich, ein stummes Pfeifen auf den Lippen, hinauf in den fünften Stock, wo Geschäftsführung und Buchhaltung ihre Büros haben. Ich arbeitete bereits seit fünf Jahren bei Schwarz, erst als Praktikantin, dann als Volontärin, dann noch einmal zwei Jahre als Assistentin. Seit fast einem Jahr war ich nun als Lektorin im Bereich Lebensberatung und Berufsstrategie tätig; jetzt endlich, da war ich mir sicher, würde mir Olaf Schwarz eine unbefristete Stelle anbieten. Als ich sein Zimmer betrat, fing er auch tatsächlich an, etwas von großartiger Arbeit und fantastischer Kollegin zu säuseln, von Zuverlässigkeit und unbestechlichem Urteil, doch dann fiel plötzlich das Wort Wirtschaftskrise, und mein Lächeln fror ein, vor allem, weil er mir nicht eine Sekunde lang in die Augen sah. Er nuschelte noch irgendetwas von betriebsbedingt und E-Book-Markt und begleitete mich, weitere Entschuldigungen sabbernd, zur Tür, die er hinter mir schloss, kaum, dass ich draußen war.
    Er hatte mich gerade entlassen.
    Ich saß immer noch wie vor den Kopf gestoßen an meinem Schreibtisch, als er zwei Stunden später eine blonde, langhaarige Mittzwanzigerin auf Elf-Zentimeter-Absätzen durch die Abteilungen führte. Natürlich brachte er sie nicht direkt in mein Zimmer (so
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