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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman
Autoren: Edmondo de Amicis
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versah. Er ging in die Kirche, pflegte Umgang mit Priestern, und vom Priester waren ihm gewisse Gesten und Attitüden geblieben, wie die, häufig die Hände vor der Brust zu verschränken, die Abneigung gegen Schnauzer und Bart und die Gewohnheit, sich ganz dunkel zu kleiden; bigott war er indes nicht, er rühmte sich vielmehr, liberal und ein Patriot zu sein, 4 und das war nicht gelogen. Trotzdem nannten ihn sämtliche Mieter im Haus wegen dieser seiner Erscheinung schon seit Jahren spöttisch Don Celzani. Aber auch wenn sie ihn ein klein wenig lächerlich fanden, schätzten sie ihn und mochten ihn, weil er höflich und hilfsbereit war, auf schüchterne Weise respektvoll allen gegenüber und von ausgeglichenem Gemüt; stand ihm doch, selbst wenn seine Geduld auf die härteste Probe gestellt wurde, kein stärkerer Ausruf der Verärgerung zu Gebote als ein «Großer Gott!», das er ausstieß, wobei er die Augen zum Himmel verdrehte, die Arme zu einer Gebärde der Anrufung ausgebreitet. Hingegen gab es eine Seite seines Wesens, die niemand kannte. Hinter dem gesetzten Äußeren eines verkleideten Priesters verbarg sich ein äußerst lebhaftes physisches Temperament, eine starke Sinnlichkeit, die er, gezügelt nicht aus Heuchelei, sondern teils aus Schüchternheit, teils aus einem Gefühl für Anstand, zumeist hinter einer Miene tiefen Nachdenkens versteckte. Sah man ihn auf der Straße, diesen schwarz gekleideten Herrn, etwas gebeugt, das dunkle Haar herabhängend, das Gesicht glatt rasiert, mit zwei so kleinen Äuglein, dass sie nicht mehr zu sehen waren, wenn er lächelte, mit der schmalen langen Nase des Asketen und einem Gang, als lege er es darauf an, sich klein zu machen, den Blick stets niedergeschlagen und zehn Schritte vor sich auf den Boden geheftet, so wäre niemand auf die Idee gekommen, dass seinem Auge keine entblößte Fessel auf dem Trittbrett einer Kutsche entging, keine freizügige Fotografie in einer Auslage, kein turtelndes Paar in einem Haustor und überhaupt nichts, was die Sinne zu erregen in der Lage war. Ein scharfer Beobachter hätte sein Temperament allein an dem großen, beweglichen Mund erkannt, der von zwei hochroten Schlänglein gebildet schien, und an einer gewissen Röte, die ihm bei gewissen Gedanken einen Moment lang Hals und Wangen färbte. Sicher, der gute Onkel Pfarrer selig hätte ihm nicht auf allen Wegen folgen können, aber sein Betragen war so würdevoll und umsichtig, dass, auch wer seine Gewohnheiten näher kannte, nichts entdecken konnte, was ihn in den Verdacht gebracht hätte, nicht auch in dieser Hinsicht vollkommen der zu sein, der er zu sein schien. Im Übrigen war er eine von diesen Naturen, deren Sinnlichkeit nichts Gemeines hat. Sie geben dem Laster nur deswegen nicht nach, weil sie keine Befriedigung darin finden, weil sie dafür geschaffen sind, Befriedigung allein in dem einen, verbürgten und ehrbaren Besitz zu finden, nicht losgelöst vom Gefühl: Mehr als bloß sinnliche sind dies liebevolle Naturen, die warten und suchen, sich ohne große Mühe zu zügeln wissen, bis sie ein gewisses physisches und moralisches Ideal, das ihnen in ihrem Geist vorschwebt, verkörpert sehen; wobei sie wahrscheinlich schwerer zufriedenzustellen sind als andere, kältere und verderbtere Männer, deren Blick nicht durch Leidenschaft getrübt ist.
    Dieses Ideal hatte er nun in der Person der Maestra Pedani gefunden, einer Lombardin, die drei Monate zuvor, Anfang Dezember, mit ihrer Kollegin Zibelli eine kleine Wohnung im dritten Stock des Hauses bezogen hatte, gegenüber von Maestro Fassi, der sie dorthin gelockt hatte, um sich ihrer unschätzbaren Mitarbeit am «Nuovo Agone» umso sicherer sein zu können. Diese groß gewachsene, kräftige, siebenundzwanzigjährige Frau, geformt wie eine Statue «mit breiten Schultern und schmaler Taille», die am ganzen Körper Gesundheit und Kraft ausstrahlte und wunderschön gewesen wäre, hätte sie nicht ein unfertiges Näschen gehabt und wären Gesichtsausdruck und Gang nicht etwas zu männlich ausgefallen, hatte gleich bei ihrem ersten Erscheinen auf ihn gewirkt wie die eine, lang ersehnte und erwartete Person. Sie war der Typ Frau, mit dem er in seinen glühenden Träumen als Seminarist geliebäugelt hatte, die Gestalt, die er im Lauf seiner heißblütigen und kasteiungsreichen Jugend vage ersehnt hatte. Als er zum ersten Mal in ihre Wohnung hinaufging, um von ihr die Mietvorauszahlung fürs Trimester entgegenzunehmen, war er nicht
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