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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten
Autoren: James Meek
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auf ihn zu. Ihr Blick war distanziert. Sie sah ihn an, als würde sie ihn nicht kennen, so wie Mädchen ihres Alters, die nicht wussten, wer er war, ihn ansahen, wenn sie seinen taxierenden Blick auffingen. Über Jeans und T-Shirt trug sie die leichte Leinenjacke, die er ihr gekauft hatte. Er streckte die Hände nach ihr aus, und sie ging an ihm vorbei, legte ihre Hand auf den Türknauf, drehte ihn, öffnete die Tür einen Spaltbreit und sah sich zu ihm um. Jetzt wollte er sie. Was war daran verwunderlich, dass ihn die Jugendfrische ihrer Haut so verlockte? Die Vorstellung, mit ihr Schluss zu machen, schien ihm von einem Verräter eingepflanzt worden zu sein.
    »Musst du noch was einkaufen gehen?«, sagte er. Seine Trivialität erstaunte ihn, und doch musste er wiederholen: »Gehst du einkaufen?«
    Nicole hob eine Hand und strich sich ihre vollkommen glatten, streng geschnittenen Haare mit den dunklen Strähnen im Blond aus dem Gesicht. Das goldene Uhrband hing schwer an ihrem noch fast kindlichen Handgelenk mit den feinen Sehnen, die Ritchie so gern streichelte. Sie hatte geschwind und zielsicher das Konto geleert, das er für sie eröffnet hatte; sie mochte keine billigen Sachen.
    »Du musst mit meiner Mum reden. Sie sitzt im Wohnzimmer.« Nicole deutete mit dem Kopf den Flur hinunter.
    Der Schreck durchbohrte Ritchie wie eine Nadel. »Wie hat sie es rausgekriegt?«
    Nicole zog die Schultern ein und legte den Kopf schief. »Ich hab’s ihr erzählt!« Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Redest du etwa nicht mit deinen Kindern? Sie hat von Anfang an über dich und mich Bescheid gewusst. Wie auch immer, jetzt ist sie hier, und sie muss mit dir reden.«
    »Wo gehst du hin?«
    »Nach Hause.« Sie kniff die Augen zusammen und wartete.
    »Ich habe das Telefon verloren«, sagte Ritchie. »Deshalb habe ich nicht angerufen.«
    »Ach ja«, sagte Nicole. Sie öffnete die rote Krokodillederhandtasche, die sie trug, und durchstöberte sie mit spitzen Fingern. Sie fand ein Handy, den Zwilling zu seinem, das er verloren hatte, und gab es ihm.
    »Brauchst du es nicht?«, sagte Ritchie.
    »Ich habe es nur benutzt, um dich anzurufen«, sagte Nicole. Sie trat über die Schwelle und betrachtete ihn kurz. »Ich habe uns im Spiegel gesehen«, sagte sie. »Wir passen nicht zusammen.« Sie ging und knallte die Tür zu. Ihr Duft hing noch in der Luft.
    Ritchie starrte das Guckloch an, drehte sich nach den Fernsehstimmen um, schloss seinen offenen Mund, drehte sich wieder zurück, rief Nicoles Namen, machte die Tür auf, sah die Lifttür zuklappen und schrie erneut ihren Namen. Er hatte das Gefühl, dass die Dinge irgendwie in der falschen Reihenfolge passierten.
    6
    Nicoles Mutter saß auf dem Sofa und sah fern. Sie saß mit dem Rücken zu Ritchie, als er ins Zimmer trat. Ihre schulterlangen, wasserstoffblonden Haare lagen auf der Lehne. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, und ihre nackten Füße ruhten auf der Glasplatte des Couchtischs. Sie trank Rotwein und knabberte gesalzene Mandeln aus einem Schälchen. Der Showmaster machte einen Witz – der Ritchie entging, weil er auf die knallroten Zehennägel von Nicoles Mutter starrte, die sich mit den spielenden Füßen bewegten –, und sie stimmte in das Lachen des Publikums ein.
    »Hallo?«, sagte Ritchie.
    Nicoles Mutter blickte sich um, schluckte hastig die Mandeln hinunter, die sie kaute, stellte das Glas ab und stand auf. Sie strich ihren roten Rock glatt, sodass der Stoff, schien es Ritchie, Salz und Mandelfett abbekam.
    »Entschuldigung«, sagte sie grinsend, ohne die Hände von den Hüften zu nehmen. »Louise. Nicole hat gemeint, ich sollte es mir gemütlich machen. Wo ist sie?« Sie schaute über Ritchies Schulter. Sie wirkte nicht überrascht, als er ihr sagte, dass ihre Tochter gegangen war.
    »Gott!«, sagte sie. Sie trat zurück, ballte die Fäuste und schob sie sich zusammengelegt unters Kinn. »Ritchie Shepherd! Wie unglaublich, Ihnen so nahe zu sein! Ich war früher ein großer Fan von Ihnen.« Sie blinzelte mehrmals. Sie war aufgeregt und atmete hastig.
    Ritchie forderte sie auf, sich wieder zu setzen, und wollte sich in den Sessel ihr gegenüber setzen, doch sie rief ihn zu sich und klopfte auf den Platz neben sich. Ritchie lachte, nahm sich ein frisches Glas und die Flasche und setzte sich zu ihr, allerdings in einem gewissen Abstand.
    »Ich hab Sie im Hammersmith Palais gesehen, als ich zwölf war«, sagte sie. »Sie und Ihre Frau.«
    »Damals war sie noch nicht meine
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