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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten
Autoren: Erich Maria Remarque
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stehe. Und weshalb ich Ihnen gern mit dieser
    Kleinigkeit helfen möchte. (S. 96)
    Der Mann war »Kompanieführer im Kriege« und einer seiner »besten Leute war ein Jude«. Er zahlt die Zeche und stifet noch eine Flasche Champagner.
      Es sind die kleinen Gesten der Mitmenschlichkeit, die für die Emigranten glückliche Momente ihrer geschundenen Existenz ermöglichen und die Hoffnung auf ein humaneres Leben aufrechterhalten. Ruth und Kern schwelgen in ihrem Glück. Kern spricht es aus:
       Ruth… von heute an glaube ich an Wunder. Wenn jetzt hier
       durch das Fenster eine weiße Taube hereinflöge, im Schnabel
       zwei gültige Pässe für uns auf 5 Jahre oder eine unbegrenzte
       Arbeitserlaubnis – es würde mich nicht erstaunen! (S. 28). Utopie und Verheißung des Humanen, das Vertrauen auf die Liebe des Nächsten.
      Nur in diesem Sinne ist erklärlich, wenn Kern dem Richter (in der eingangs zitierten Szene) auf dessen Frage, ob er noch an irgend etwas glaube, antwortet:
       O ja; ich glaube an den heiligen Egoismus! An die Unbarm
       herzigkeit ! An die Lüge! An die Trägheit des Herzens!
    Das ist es, was der Richter erwartet und befürchtet hat. Aber er resigniert zu früh, denn Kern fährt fort:
       Es ist noch nicht alles … Ich glaube auch an Güte, an Ka
       meradschaf, an Liebe, an Hilfsbereitschaf! Ich habe sie
       kennengelernt. Mehr vielleicht als mancher, dem es gut geht
       (S. 282).
    Die gemurmelte Antwort des Richters: »Gut, so was zu hören« gilt auch für die Leser Remarques und für den Autor selbst, der einmal in bezug auf die Intention seines Schreibens vom »notwendigen Optimismus des Pessimisten« gesprochen hat.“

    IV.

    Der amerikanische Titel »Strandgut« (Flotsam) sowohl für die Publikation der Fortsetzungs-Fassung von 939 in Collier’s wie der US-Buchausgabe von 94 erweckt im Leser völlig andere Assoziationen als das Bergpredigt-Zitat der deutschen Ausgabe. 3 Bisher ließ sich noch nicht ermitteln, wie es zu dieser Titelgebung kam. Es läßt sich vermuten, daß aus der Sicht des Verlegers und der Leser in den USA, die 939 den Emigrantenproblemen im fernen Europa noch wenig beteiligt zuschauen, »Strandgut« eine überzeugende Metapher war, zumal die ersten Ausläufer des Emigranten-Strandguts inzwischen über den Ozean gespült wurden.
      Dieses Treibgut ist entwurzelt, weggeworfen als Abfall, abgerissen und losgebrochen, angegriffen durch die Salzlauge der See, zerschlagen durch die Wellen, hin und her gerollt, abgeschliffen, letztlich auf irgendeinen Strand geworfen, an irgendeine Küste gespült durch Winde, Strömungen, Ebbe und Flut, durch Kräfte, die außerhalb der Kontrolle der davon gesteuerten Objekte liegen, aber nicht untergegangen, nicht auf dem Grunde der See modernd. Strandgut wird aufgelesen und manchmal von denen, die es geborgen haben, in neue Strukturen eingefügt; wenn es pflanzliches Leben als Samen oder Keim in sich trägt, wird es am neuen Gestade wieder verwurzeln. Der deutsche Titel Liebe Deinen Nächsten steht für die Utopie der immer noch erhofen humanen Gesellschaf und für die immer wieder erfahrene tätige Nächstenliebe selbst für die »bürgerlichen Toten«, für die »Leichen auf Urlaub«, wie Steiner die Paßlosen schon zu Beginn des Buches nennt. Aber, trotz aller Hoffnung, es geht »so langsam vorwärts« und »so schnell rückwärts«, wie Steiner sagt. Zumindest in der Wahrnehmung der Exilanten ist der Rückschritt wesentlich greifarer als die dennoch am Horizont aufscheinende Utopie.
      Das unbehauste Individuum ist »Strandgut«, in dem aber das »Prinzip Hoffnung« (um es mit Ernst Blochs großem Entwurf zu formulieren) fortlebt als Keim der Zukunf und als Überlebensmechanismus im Ausgestoßensein der Gegenwart, wenn und solange ein »starkes Herz« die Wurzeln zu ersetzen vermag. Das ist Re-marques Botschaf, die in diesem ersten Exilroman stärker zum Ausdruck kommt als in den folgenden, die unter dem Eindruck der Grauenhafigkeit der Morde und Verfolgungen des Zweiten Weltkriegs weniger Optimismus ausstrahlen. Besonders gilt dies für den letzten Exil-Roman, Schatten im Paradies (97).

    V.

    Ein Mensch ohne Paß ist eine Leiche auf Urlaub. Hat sich
    eigentlich nur umzubringen, sonst nichts. (S. 9)
    Das ist Steiners bitteres Fazit, als der Exil-Erfahrene dem Neuling Kern in dessen erster Haf in Wien ›auflärt‹. Kern begreif schnell. Als er dem Beamten
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