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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten
Autoren: Erich Maria Remarque
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runden, roten
    Gesicht«. Er ist zwar, wie der Autor uns mitteilt, »menschlich, doch er kann »nicht helfen«. Die Paragraphen sind »eindeutig« (S. 208). Der »ahnungslose, gutmütige Mensch« weiß keine andere Lösung, als den Illegalen zu verurteilen. Denn, so sagt er: »Wir müssen unser Land vor der Überschwemmung durch Flüchtlinge schützen« (S. 28).
      Trotz des hier geäußerten National-Egoismus wird dieser Richter mit dem Zwiespalt, den ihm seine Menschlichkeit beschert, nicht fertig und räumt Kern gegenüber ein: »Sie müssen doch irgendwie existieren dürfen!« (S. 28).
      Nein, das darf der als minderjähriger Sohn zusammen mit seinem Vater aus dem Deutschen Reich ausgewiesene und ausgebürgerte Kern nicht. Des Richters Frage: »Hat denn der Völkerbund noch nichts für Sie getan ? « beantwortet Kern geduldig: » Der Völkerbund berät seit ein paar Jahren darüber, uns Identitätspapiere zu geben… Jedes Land versucht auch da, uns dem anderen zuzuschieben«.
      Da begreif der Richter endlich:
       Aber mein Gott!… Das ist ja ein Problem! Was soll denn nur
       aus Ihnen werden?« (S. 28)
    Schlagartig wird ihm klar, daß es bei einer anderen politischen Konstellation auch seinem eigenen Sohn so ergehen könnte, der – etwa gleichaltrig wie Kern – jetzt in sicherer Ruhe und Geborgenheit als Schweizer Bürger dem Leben entgegengeht. Mit einem Anflug von Verzweiflung sagt der Richter zu Kern.:
       Wenn ich mir vorstellen sollte, daß er (der Sohn) herumgejagt
       würde, ohne irgendeinen anderen Grund, als daß er geboren
       worden ist … (S. 282)
    Durch eine Eingabe an das Obergericht will der Richter für Kern erreichen, daß die gesetzlich vorgeschriebene Mindeststrafe von 4 Tagen Gefängnis nur als »Untersuchungshaf« bewertet wird, nicht als »Gefängnis«. Dies sei für Kerns »bürgerliche Ehrenrechte« wichtig, denn dann gelte er nicht als »vorbestraf«.
      Hier stoßen Welten aufeinander, die miteinander unversöhnlich bleiben: der Ehren- und Rechtskodex des wohlanständigen Bürgers in einem geordneten Staatswesen und das rechtlose Ausgeliefertsein des Exilanten, dem diese Dinge durch seinen Staat genommen wurden und die ein anderer Staat ihm zu geben nicht bereit ist. Insofern folgt in der Antwort Kerns die den Richter verstummen machende, bittere Belehrung für den durch sein Rechtskorsett fest gestützten Amtswalter:
       Bürgerliche Ehrenrechte … Was soll ich damit? Ich habe ja
       nicht einmal die einfachsten bürgerlichen Rechte! Ich bin ein
       Schatten, ein Gespenst, ein bürgerlicher Toter. Was sollen mir
       da Dinge, die Sie Ehrenrechte nennen? (S. 28) 9
    Der Richter ist verunsichert. Er begreif, daß dem von ihm Verurteilten nichts anderes übrigbleibt, als »gegen das Gesetz (zu) verstoßen«, das er, der Richter, zu repräsentieren hat, und er begreif, daß diese Gesetzesübertretung gleichzusetzen ist mit der Wahrnehmung eines individuellen Menschenrechts: des Rechts auf Leben und Existenz. 0
      Der Richter steht, wie so viele Amtswalter, für Systeme der bürokratischen Verweigerung der einfachsten Grundrechte, und zwar als Repräsentant einer als ›human‹ und ›liberal‹ geltenden Schweizer Eidgenossenschaf. Er begreif den Widerspruch und seine eigene Hilflosigkeit als Funktionsträger des Systems. »Wenn ich nur wüßte, was ich für Sie tun könnte!« murmelt er, und dann ergänzt er sein von ihm selbst als inhuman begriffenes Amtshandeln durch eine Geste der Mitmenschlichkeit. Er greif zu seinem »riesigen Portemonnaie« und gibt Kern mit dem Ausdruck der tiefsten Verlegenheit einen 20 Franken-Schein mit den Worten: »Es ist mir peinlich, nichts anderes für Sie tun zu können…« (S. 282).
      Das ist alles, was von dem titelgebenden Gebot »Liebe Deinen Nächsten« übriggeblieben ist, und doch ist es viel mehr Menschlichkeit, als andere Gestalten des Romans zu zeigen in der Lage oder gewillt sind.
      So brüllt gleich zu Beginn des Buches in Wien ein Mann hinter den von den Polizisten auf einem Auto eingesammelten Illegalen her:
       »Schlagt das Emigrantenpack tot!… Dann spart ihr das
       Futter« (S.).
    Der österreichische Polizist, der bei der ersten Verhafungsszene des Romans Josef Steiner einen Kinnhaken versetzt und ihn »Hurenbankert« und »General Stinktier« beschimpf (S. 9) – offensichtlich ein Antisemit und Nationalsozialist längst vor dem Anschluß Österreichs
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