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Liebe auf dem Pulverfaß

Liebe auf dem Pulverfaß

Titel: Liebe auf dem Pulverfaß
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in seinen Gedanken versunken, schrak hoch.
    »Ich verbiete es dir!« Es war ein dummer Satz, er wußte es, aber er mußte ihn aussprechen, um sein Gesicht zu behalten.
    »Du weißt, daß ich mich weigere.« Sie lehnte an der Schranktür, stolz, schön, kampfbereit, nur durch ein dünnes, gelacktes Brett von dem Mann getrennt, der für die ›Organisation‹ plötzlich so wichtig geworden war wie die heilige grüne Fahne des Propheten, die einmal wieder über Jerusalem wehen sollte. Ich müßte sie jetzt töten, um an Kehat Yonatan heranzukommen, dachte Safar traurig. Kann man das von einem Vater verlangen? Er sah Amina aus verschleierten Augen an und spürte schmerzhaft sein Herz.
    »Wir werden dich zwingen.«
    »Wie?« Sie warf den Kopf in den Nacken.
    »Wir werden ihn jagen wie einen Wüstenfuchs.«
    »Ihr bekommt ihn nie! Nie!«
    Safar starrte auf den Schrank. »Er kann nicht ewig unter deinem Rock stecken.« Er bückte sich, griff unter die Couch, holte die beiden Weingläser hervor und stellte sie auf den Tisch. Stumm, verbissen, wie Fremde, die auf rätselhafte Weise zu Feinden geworden sind, sahen sie sich an. Die Fronten waren gezogen. Es gab nun keine Geheimnisse mehr.
    »Hol ihn dir, Vater …«, sagte Amina leise. Safar spürte die Gefährlichkeit in ihrer Stimme. Es machte ihn stolz und wehrlos zugleich. Allah hat mich mit meinen Kindern gesegnet, dachte er, aber Palästina ist wichtiger und größer als die Vaterschaft.
    »Nicht hier«, antwortete er. »Aber außerhalb dieses Zimmers hört der Frieden auf. Du weißt, für uns gibt es keine Grenzen. Ich verrate mein Volk, wenn ich diese vier Wände übersehe … aber ich liebe dich, meine Tochter.« Safar erhob sich. Er machte einen Schritt auf den Schrank zu, aber als sich Amina duckte und Feuer in ihre Augen sprang, blieb er stehen, drehte sich um und ging zur Wohnungstür zurück.
    »Das Leben eines Mannes gleicht nicht dem eines Wurmes«, sagte er so laut, daß es wie eine Aufforderung klang, und eine solche sollte es auch sein. »Ich traue meiner Tochter alles zu, nur nicht, daß sie einen Feigling liebt.«
    »Vielleicht bin ich ab heute nicht mehr deine Tochter?«
    »Unmöglich.« Safar Murad schüttelte den Kopf. »Geh zu einem Spiegel, blick hinein … wer diese Augen hat, wird immer meine Tochter bleiben …« Er öffnete die Tür, blieb aber in ihr stehen und sah noch einmal zurück. »Deine Mutter wartet auf dich, Amina.«
    »Sie kann zu mir kommen, so wie du gekommen bist, Vater.«
    Safar lehnte sich an den Türrahmen und atmete tief auf. »Sie werden euch vernichten, und ich kann es nicht verhindern. Ich werde dabei sein und sogar die Befehle geben. Ich werde daran sterben. Ist eine Liebe so viel wert?«
    »Ja, Vater.«
    »Komm her, Amina«, sagte er sanft.
    »Nein!«
    »Ich will dich zum Abschied küssen.« Safar setzte die Reisetasche ab. »Soll ich zu dir kommen?«
    »Bleib stehen, Vater!« schrie sie plötzlich. »Bei Allahs Gnade, bleib stehen!«
    Er sah sie an, lange abschiednehmend, so wie man einen Menschen ansieht, bevor man über ihm den Deckel des Sarges schließt. Dann drehte er sich um, verließ das Zimmer und stieß mit dem Fuß die Tür zu. Mit drei Sprüngen war Amina hinterher und drehte den Schlüssel herum. Hinter sich hörte sie, wie Kehat aus dem Schrank kam, aber sie wandte sich nicht um. Sie drückte das Gesicht gegen die Wand und weinte.
    »Er steht unten auf der Straße …«, sagte Kehat nach einer ganzen Zeit dumpfen Schweigens. »Er hält Wache. Die Tasche lehnt neben seinem rechten Bein. Die Schlösser sind geöffnet.«
    Sie nickte und blieb mit dem Gesicht an der Wand stehen. Eine unbeschreibliche Verlassenheit war um sie. Ich habe keinen Vater mehr, dachte sie. Keine Mutter, keinen Bruder, kein Land, kein Volk. Nur Kehat Yonatan. Einen Juden.
    »Jetzt sind wir ganz allein«, sagte sie gegen die Wand. »Wir sind wie die ersten Menschen.«
    »Wir haben noch meinen Vater, unser Haus in Tel Aviv, meine Mutter. Sie wird dich wie ihr eigenes Kind aufnehmen.« Kehat stand seitlich vom Fenster und blickte im Schutz der zurückgezogenen Gardine auf die Straße. Unter der zuckenden Lichtreklame wartete Safar Murad, neben sich die geöffnete Reisetasche.
    »Wir haben nichts mehr!« schrie Amina und drehte sich herum. »Nichts! Auch du nicht! Auch für dich gibt es keinen Moshe Yonatan mehr, keine Mutter Rebba, kein Tel Aviv, kein Israel, kein Sommerhaus in Herzlia! Begreifst du das nicht? Wir haben nur uns! Du und ich –
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