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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0
Autoren: Mareike Giesen
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vor einem halben Jahr die Lieferung neuer Schienen komplett
einstellen und die von mir gewählte Route stilllegen würde, hat mich dann doch
überrascht. Soviel zur Vorhersehbarkeit. Soviel zu nuklearen Halbwertszeiten.
Stattdessen gab es eine Vollbremsung inklusive mittelschwerem Schleudertrauma –
nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und so bin ich notgedrungen ausgestiegen
und zu Fuß weitergelaufen, querfeldein, den Weg des geringsten Widerstandes.
Und den gehe ich heute noch. Was als Übergangslösung gedacht war, droht, sich
in einen Dauerzustand zu verwandeln. Und das beunruhigt mich. Wenn doch
wenigstens jemand vorbeikäme, um mich als Anhalter ein Stück mitzunehmen…
     

Zwei
    Die
Besprechung ist erfolgreich überstanden, und jetzt gilt es nur noch, den Rest
des Tages durchzuhalten. Da ich eine verhältnismäßig produktive Woche hinter
mir habe und am Wochenende keine Großveranstaltung anliegt (oder etwas, das man
hier bei Totallokal unter Großveranstaltung versteht), habe ich nach
heute zwei Tage frei. Ein Fest! Durch die Vorfreude beflügelt, erkläre ich mich
nicht nur bereit, über die Einweihung des restaurierten Wasserschlösschens im
Nachbarort zu berichten und nebenbei schon mal nach Vampiren Ausschau zu
halten, sondern auch ein paar O-Töne für den Veranstaltungskalender zu sammeln.
Ich fühle mich regelrecht radioaktiv.
    Bevor es jedoch an die Arbeit geht,
will ich ernten, was ich gesät habe, sprich endlich eine wohlverdiente Tasse
von meinem eigens vor der Redaktionssitzung aufgesetzten Bohnenkaffee
abschöpfen. Und das keine Sekunde zu früh! Als ich in die Teeküche komme, steht
Max bereits an der Kaffeemaschine – ein Klassiker: Die Rückkehr des Täters an
den Tatort. Schon greift er zum frisch Aufgebrühten, als ich ihn stelle.
    „Keine Bewegung,
Fremder!“
    Max dreht sich
um, und sofort zaubert er wieder dieses schiefe Lächeln um seinen hübschen
Mund, dem sich nur solch abgestumpfte Zeitgenossen wie Nathalie widersetzen
können. Sein auf einen Meter fünfundachtzig verteilter Großer-Junge-Charme
füllt den kleinen Raum vollständig aus, und ich gebe zu, dass ich einen kurzen
Moment brauche, um mich zu sortieren. Das hat man davon, wenn man im
Liebeskummer vorübergehend wieder bei den Eltern einzieht und sich von der
kleinen Schwester in die heile Welt der Disney-Industrie entführen lässt: Highschool
Musical- Overkill! Als wäre ich 17 again , stehe ich hier in der
Teeküche und kichere Zac Efron für Arme an.
    Dabei entspricht
Max eigentlich so gar nicht meinem Beuteschema. Seit ich denken kann, haben
mich vor allem reifere Männer interessiert, nicht so Jüngelchen wie er. Ich
wollte Batman statt Robin, und während alle anderen die Backstreet Boys anhimmelten, hing über meinem Bett Bono von U2 …  Woher das wohl kommt?
Wahrscheinlich irgendeine frühkindliche Prägung oder so was. Ich weiß noch
genau, dass mein erster Schwarm mein Mathelehrer in der dritten Klasse war. –
Ach ja, Herr Ströwel! Er war ebenfalls ziemlich groß, nicht nur aus der
Perspektive einer Neunjährigen. Dazu hatte er einen für die damalige Zeit
verdammt rebellischen Dreitagebart und erinnerte mit seiner abgewetzten
Lederjacke ein bisschen an Indiana Jones. Nach zwei Jahren ist Herr Ströwel
dann aus meinem Leben verschwunden, aber der Prototyp meines Traummanns ist
geblieben. Hm. Wie alt Herr Ströwel damals wohl war? Allzu weit von der Dreißig
kann er nicht entfernt gewesen sein… O je! Ich bin mittlerweile so alt wie Herr
Ströwel! Vielleicht ist meine Begeisterung für Max eine vorgezogene
Midlifecrisis?
     „Hallo, meine
Schöne!“ Wie die höhere Kaste der Moderatoren hat auch Max bereits eine große
Bandbreite an Intonationsmodi. Seine Begrüßung schnurrt sich sonor in meinen
Gehörgang und überzieht meinen Rücken mit einer kleinen aber feinen Gänsehaut.
    Für einen kurzen
Moment lasse ich das Kribbeln zu, dann ist es genug. Kein Sex am Arbeitsplatz,
schließlich bin ich Profi. – Nun gut, das stimmt eigentlich nicht so ganz… Aber
meine Chancen, es irgendwann zu werden, könnten sich durch eine Portion
Selbstdisziplin nicht unwesentlich erhöhen. Und so starte ich unverfänglich
einen lässigen Plausch unter Kollegen.
    „Max, Max, Max,
was sollen wir bloß mit dir machen?“, rufe ich theatralisch, während ich auf
ihn und die Kaffeemaschine zugehe. „Du vernachlässigst sämtliche deiner
Praktikantenpflichten: Keinen Kaffee gekocht, keine Zeitungen gebügelt…
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