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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur
Autoren: Chris Moriarty
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Es war die Stimme ihres Vaters.
    »Nicht! Ich werde nicht zuhören!«

    Bella zuckte die Achseln und sprach mit ihrer eigenen Stimme weiter. »Den meisten Menschen gibt es Trost.«
    »Ich will keinen Trost.«
    Aber das stimmte nicht. Sie brauchte so dringend Trost, dass es ihr Angst machte. Sie fragte sich, ob Bella auch Mirces Stimme über ihre perfekten Lippen bringen konnte. Oder McCuens Stimme. Sie konnte fragen, nahm sie an. Was konnte es schon schaden? Aber sie konnte nicht um die eine Stimme bitten, die sie hören wollte. Denn wenn sie diese Stimme hörte, und sei es nur einmal, würde sie nie die Kraft aufbringen, sich von ihr abzuwenden.
    »Bist du sicher?«, fragte Bella.
    Li drehte sich um, ging hinaus und blickte nicht zurück.
     
    Als sie in ihr Quartier zurückkehrte, wartete schon Nguyens Anruf auf sie. »Gehen Sie neuerdings nicht mehr ans Telefon? «, fragte Nguyen.
    Li zuckte die Achseln.
    »Ich verstehe. Sie spielen die hinterbliebene Witwe. Nun, ich nehme an, Sie haben genug Geld mit ihm gemacht, dass Sie so tun können als ob. Wer hätte gedacht, dass er Ihnen alles hinterlassen würde?«
    Li hielt den Mund; es war die Mühe nicht wert herauszufinden, wie Nguyen an diese Information gekommen war.
    »Sie werden allerdings nichts davon behalten. Der Generalanwalt wird es anfechten. Und gewinnen. Die Hälfte der Hardware, auf der Cohens Systeme laufen, ist durch Regierungspatente und -lizenzen gedeckt. Das wird Ihr Ruin sein.«
    Li sah auf ihre Hände und holte Atem. »Haben Sie nur deswegen angerufen, oder gibt’s sonst noch was?«
    Nguyen lächelte kalt, streckte eine Hand über das VR-Feld hinaus, und als sie die Hand zurückzog, hielt sie ein
eselsohriges gelbes Stück Papier zwischen den Fingern. »Wir wissen Bescheid. Wir wissen alles. Es ist vorbei, Li.«
    »Wenn es wirklich vorbei wäre, würden sie nicht mit mir reden.«
    »Ich bin autorisiert worden, Ihnen einen Ausweg anzubieten. Unter den gegebenen Umständen sind wir der Meinung, dass … dass Diskretion angeraten ist.«
    Li wartete.
    »Sie werden mit dem restlichen Stationspersonal zur Nachbesprechung nach Alba zurückfliegen. Wenn Sie dort eintreffen, werden Sie eine Freistellung aus gesundheitlichen Gründen beantragen. Wenn sich die Lage ein wenig beruhigt hat, werden Sie den Dienst quittieren. Ganz unauffällig. Im Privatsektor wird sich schon ein Job für Sie finden. Und wir vergessen dann, was auf Compsons Planet geschehen oder nicht geschehen ist.«
    »Hört sich ganz vernünftig an.«
    »Na gut. Dann sind wir uns einig.«
    »Nein.«
    Nguyen hielt den Atem an und beugte sich ein winziges Stück vor. »Glauben Sie wirklich, Sie können diesen Skandal überstehen? Sind Sie wirklich so arrogant?«
    »Sie haben das gute Recht, mich aus dem Dienst zu jagen. Ich würde an Ihrer Stelle vermutlich das Gleiche tun.« Li lachte kurz. »Ach was, an Ihrer Stelle würde ich mir wahrscheinlich eine Kugel durch den Kopf schießen und reinen Tisch machen. Aber Sie können nicht verlangen, dass ich freiwillig ausscheide. Sie können nicht verlangen, dass ich mich wortlos davonschleiche.«
    »Das ist unter diesen Umständen ziemlich scheinheilig.«
    »Vielleicht.«
    Nguyen schien allmählich zu dämmern, worauf Li hinauswollte, aber diese Erkenntnis wurde gleich von einer tiefen Verachtung verdrängt. »Sie haben gar nicht an das
Geld gedacht, was?«, fragte sie. »Sie haben sich wirklich eingeredet, dass Sie das Richtige tun. Oder haben es sich von Cohen einreden lassen. Haben Sie wirklich geglaubt, dass Sie eine solche Entscheidung fällen können? Glauben Sie wirklich, dass Sie das Recht hatten, wegen Ihrer moralischen Skrupel Milliarden UN-Bürger in Gefahr zu bringen? «
    Li antwortete nicht.
    »Erstaunlich«, sagte Nguyen. »Aber Verräter glauben wohl immer, dass die normalen Regeln für sie nicht gelten, was?«
    Auch darauf hatte Li keine Antwort.
    »Ich werde so tun, als habe dieses Gespräch nie stattgefunden«, sagte Nguyen nach einer kurzen Pause. »Sie haben mehrere Monate in Slowtime auf dem Evakuierungsschiff vor sich, um darüber nachzudenken, was Sie tun wollen, wenn Sie auf Alba eintreffen. Aber wenn ich Sie wäre, würde ich dieses Schiff gar nicht erst besteigen. Glauben Sie mir, Sie werden nicht viel vorfinden, wohin Sie zurückkehren können. Ich werde mir ein bisschen Zeit nehmen, um dafür zu sorgen.«
    Li lachte, weil ihr die Situation auf einmal überaus lächerlich vorkam. Sie schüttelte den Kopf und grinste in das
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