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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit
Autoren: Kerstin Rachfahl
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das ertrug er nicht besser als die Nähe zu ihr. Einzig ihre Abneigung ihm gegenüber half ihm, die Kontrolle nicht zu verlieren. Als sie ihren Hals entblößte, seinen Finger auf ihren Puls legte, war er um jeden Mann im Raum froh gewesen. Dann hatte sie angefangen, ihn zu akzeptieren, ihn als Freund zu betrachten. Pure Folter, in die er sich Tag für Tag mit Freuden begab, doch das alles bedeutungslos im Vergleich zu dem Tag, als sie ihm ihre Liebe schenkte, der ausgedörrten Erde den Regen gab und Blumen wachsen ließ. Sein Durst nach ihr – genauso unersättlich wie der der ausgetrockneten Pflanzen. Nein, er konnte nicht ohne sie leben. Niemals.
     
    Er hatte sich in der Vergangenheit verloren.
    Erst als Lemar die Hand auf seine Schulter legte, kam sein Geist in die schmerzvolle Gegenwart zurück. »Ich kann nicht ohne sie leben.«
    »Ich verstehe dich, Otis, glaube mir. Aber wenn du das machst und mit ihr ins Feuer gehst, wird alles, worum sie gekämpft hat, verloren sein.«
    »So wichtig bin ich nicht«, entgegnete Otis mit gebrochener Stimme.
    »Doch, das bist du. Für uns, für Forran …«
    Otis legte seine Hand auf die von Lemar. »Lass es gut sein, mein Freund, die Aufzählung habe ich bereits von Sendad gehört.«
    »Führe fort, was sie begonnen hat. Ehre sie mit dem Frieden, für den sie gestorben ist. Leben ist mutiger als sterben, mein Freund«, erwiderte Lemar eindringlich.
    Otis biss die Zähne zusammen, geschlagen von seinen eigenen Worten, die er einst Lemar gesagt hatte.
    »Gib mir die Zeit, die mir mit ihr noch verbleibt«, presste er heraus, indem er den Strom seiner Tränen zurückhielt.
    Lemar verschwand.
    Otis hörte die Stimmen seiner drei treusten Weggefährten vor dem Zelt. Er wusste, er konnte sich auf sie verlassen, dass sie diesen Moment für ihn schützten.
    »Du hast sie alle im Sturm erobert, so wie mich, und es war dir nie klar, welche Macht du damit in deinen Händen hieltest. Nie hast du sie genutzt, auch nicht die der Elemente. Du hättest uns alle damit töten können. Alle, ohne Ausnahme.«
    Er ließ seine Energie fließen, suchte nach einem Lebenszeichen von ihr. Das Amulett leuchtete auf, schützte den leblosen Körper. Er hatte versucht, ihr das Amulett abzunehmen, in der Hoffnung, sie mit seiner Energie heilen zu können, doch es ließ sich nicht berühren. Wenige Zentimeter darüber traf er immer auf einen Widerstand, den er nicht durchbrechen konnte, weder mit purer körperlicher Gewalt noch mit seiner Energie. Er legte seine Hand auf ihren Unterleib, schloss die Augen, nahm Abschied von dem ungeborenen Leben. Mit seinen Sinnen fühlte er, wie es sich an seine Handinnenfläche schmiegte. Es zerriss ihm das Herz. Wie konnte es leben, wenn die Mutter tot war?
     
    Levarda hörte, wie die Zeltplane zurückgeschlagen wurde. Stille, immer wieder diese Stille. Sie wandte alle Kraft auf, ihre Augen zu öffnen, die Finger zu bewegen oder ihre Lippen zum Sprechen zu bringen. Aber nichts gelang ihr. Ihr Körper lag steif und bewegungslos da. Obwohl sie merkte, wie eine Hand ihr Gesicht streichelte, konnte sie ihre Wärme nicht spüren. Mit angsterfülltem Herzen suchte Levarda nach dem neuen Leben in ihrem Körper und war erleichtert, als sie das zarte Licht entdeckte. Es pulsierte und klopfte im Rhythmus, doppelt so schnell wie ihr eigener Herzschlag.
    »Lemar«, klang es leise in ihr Ohr.
    »Sendad, Egris, Timbor!«, tönte es lauter.
    Wieder wurde die Zeltplane zurückgeschlagen.
    »Was ist passiert?«, hörte sie Egris fragen.
    »Ihr Puls schlägt.«
    Ein tiefes Seufzen drang aus Sendads Mund. »Otis, ich weiß, dass du dir nichts sehnlicher wünschst, als dass ein Wunder geschieht. Sieh den Tatsachen ins Gesicht. Sie ist tot.«
    »Dann komm her und erkläre mir, was das ist.«
    Levarda konnte hören, wie sich zögernd Schritte näherten.
    »Sie sieht aus, als würde sie schlafen«, hörte sie Sendads leise Stimme.
    »Gib mir deine Hand«, befahl ihm Otis.
    Die Finger legten sich an ihren Hals, dort, wo die von Otis immer ihren Platz gehabt hatten, wenn sie den hohen Lord gemeinsam behandelten.
    »Es muss mein eigener Puls sein, den ich fühle.«
    »Also fühlst du es auch?«, diesmal klang Otis‘ Stimme ungläubig.
    »Sie ist eiskalt und nichts regt sich!«
    »Du warst auch kalt, als sie dich behandelte. Sendad, du selbst warst am Herzen verletzt, dem Tod näher als dem Leben. Du müsstest wissen, wie sich das anfühlt.«
    »Du hast gesagt, du kannst dich mit ihr verbinden
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