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Licht

Titel: Licht
Autoren: M. John Harrison
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waren Funken. Dann schlug er den Mantelkragen hoch und ging rasch davon. Auf der Suche nach seinem Wagen hatte er sich bald in dem Labyrinth aus Straßen und Fußgängerzonen verlaufen, das zum Bahnhof führte. Also nahm er den Zug und kehrte erst nach einigen Tagen zurück. Der Wagen stand noch da, wo er ihn geparkt hatte, ein roter Lancia Integrale, in den er ziemlich verknallt gewesen war.
     
    Kearney setzte sein Gepäck – einen alten Laptop, zwei Bände von A Dance to the Music of Time – auf die Rückbank des Integrale und fuhr nach London zurück, wo er ihn in einer South-Tottenham-Straße abstellte, nicht ohne sich noch einmal zu vergewissern, dass die Türen unverschlossen waren und der Zündschlüssel steckte. Dann nahm er die U-Bahn zu seiner Forschungssuite, seinem Hauptarbeitsplatz. Finanzielle Verquickungen, zu kompliziert, um sie aufzuschlüsseln, waren der Grund, warum diese Suite in einer Seitenstraße zwischen Gower Street und Tottenham Court Road lag. Dort hausten er und ein Physiker namens Brian Tate in drei langen Zimmern mit lauter Beowulfsystem-Computern, die ihrerseits mit Apparaturen verschraubt waren, die, so hoffte Tate, eines Tages in der Lage sein würden, die Interaktionen von Ionenpaaren aus dem magnetischen Rauschen zu isolieren. Theoretisch würde ihnen das erlauben, Daten in Form von Quantenereignissen zu codieren. Kearney hatte seine Zweifel; doch Tate war von Cambridge via MIT und, noch wichtiger vielleicht, von Los Alamos gekommen, sodass er durchaus Erwartungen weckte.
    Als die Suite noch ein Team von Neurobiologen beherbergt hatte, das an lebenden Katzen arbeitete, war sie wiederholt von extremistischen Tierrechtlern in Brand gesteckt worden. An nassen Vormittagen roch sie noch schwach nach verkohltem Holz und Plastik. Kearney, der sehr wohl um die moralische Entrüstung der Wissenschaftsgemeinde wusste, hatte jedermann wissen lassen, dass er die ALF (* Animal Liberation Front.) unterstützte; er hatte noch Öl ins Feuer gegossen und ein Paar orientalische Katzen importiert, die eine schwarz und männlich, die andere weiß und weiblich. Mit ihren langen Beinen und bedrohlich dünnen Leibern schlichen sie so rastlos herum wie Mannequins, warfen sich in bizarre Posen und behinderten Tates Arbeit.
    Kearney nahm die weibliche Katze hoch. Sie wehrte sich kurz, dann schnurrte sie und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Der Kater beäugte Kearney, als habe er ihn noch nie gesehen, legte die Ohren an und duckte sich unter eine Werkbank.
    »Die beiden sind nervös heute«, sagte er.
    »Gordon Meadows war hier. Sie wissen, dass er sie nicht leiden kann.«
    »Gordon? Was wollte er?«
    »Er fragte sich, ob wir uns einer Präsentation gewachsen fühlen.«
    »Hat er sich so ausgedrückt?«, fragte Kearney und fuhr, als Tate lachte, fort: »Für wen denn?«
    »Ein paar Leute von Sony, glaub ich.«
    Jetzt war es an Kearney zu lachen.
    »Gordon ist ein Dummkopf«, sagte er.
    »Gordon«, sagte Tate, »ist unser Kapital. Muss ich dir das buchstabieren? Erst K und dann A…«
    »Du kannst mich auch«, sagte Kearney. »Sony könnte Gordon mit einem Glas Wasser runterspülen.« Er sah sich unter den Apparaturen um. »Die müssen verzweifelt sein. Haben wir diese Woche Fortschritte gemacht?«
    Tate zuckte die Achseln.
    »Es ist immer dasselbe Problem«, sagte er.
    Er war ein ziemlich großer Mann mit sanften Augen, der seine Freizeit, soweit er sie denn hatte, darauf verwandte, sich ein komplexitätsorientiertes architektonisches System auszudenken, das voller Formen und Kurven war, die er als ›natürlich‹ beschrieb. Er wohnte in Croydon und seine Frau, die zehn Jahre älter war als er, hatte zwei Kinder aus erster Ehe mitgebracht. Vielleicht als Tribut an seine Zeit in Los Alamos hatte Tate eine Vorliebe für Bowlinghemden, Hornbrille und einen sorgfältigen Haarschnitt, mit dem er wie Buddy Holly aussah.
    »Wir können das Tempo verringern, mit dem die Qubits Phase aufnehmen. Wir sind da schon besser als Kielpinski – ich hatte diese Woche Faktor 4 und mehr.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Dann nimmt das Rauschen zu. Kein Qubit. Kein Quantencomputer.« (* Qubit = Quantenbit: ein Bit, das im Zustand der Superposition bzw. Überlagerung von 0 und 1 existieren kann.)
    »Und das ist alles?«
    »Das ist alles.« Tate nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. »Oh. Eins noch.«
    »Was?«
    »Komm und sieh’s dir an.«
    Ganz hinten im Raum auf einem niedrigen Schrank hatte Tate einen
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