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Licht

Titel: Licht
Autoren: M. John Harrison
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Maú. »Was ist das denn für eine Technik?« Draußen am Strand gab es alle Merkwürdigkeiten zu sehen, eine Million Jahre alte Ideen, die man modifiziert hatte, um solche kleinen fassförmigen Schiffe aufzumotzen. Unterm Strich hieß das: Alles funktionierte. Wo man auch hinsah, man wurde fündig. Das war der schlimmste Albtraum überhaupt. Das machte es so aufregend. Von solchen Gedanken in Beschlag genommen, manövrierte sie die White Cat behutsam näher heran, dahin, wo sich die Leichen überschlugen. Es waren Menschen, die an ihrem Bug vorübertrieben. Männer und Frauen in ihrem Alter, aufgebläht, gefroren, mit sonderbar gespreizten Gliedmaßen. Seria Maú schob sich dazwischen, forschte in den Mienen aus stumpfer Furcht und Hinnahme, ohne genau zu wissen, wonach. Nach einer Spur. Einer Spur von ihr.
    »Spur von mir«, grübelte sie laut.
    »Sieh dich doch um«, wisperten die Schattenoperatoren und bedachten sie mit tragischen Blicken aus den Lücken zwischen ihren filigranen Fingern. »Und guck mal da!«
    Jemand hatte in einem Druckanzug überlebt; die klobige weiße Gestalt ruderte wild mit den Armen und versuchte vergebens zu laufen, spreizte und krümmte sich zusammen, wie es maritime Lebewesen bei Schmerz oder nur schon aus Furcht, Verstörtheit und Ablehnung tun. Vermutlich, dachte Seria Maú, während sie der Übertragung aus dem Helm lauschte, schließt man einfach die Augen und sagt sich: »Ich komme hier raus, wenn ich nur die Ruhe bewahre.« Dann öffnet man sie und weiß wieder ganz genau, wo man ist. Das reicht, um so zu schreien.
    Sie überlegte noch, wie sie diesen Menschen erledigen sollte, als sie der Bruchteil eines Schattens streifte. Es war ein fremdes Schiff. Es war riesig. Das gesamte K-Schiff schlug Alarm. Schattenoperatoren schwärmten aus. Die White Cat löste sich vollkommen auf; in einem Schaum aus Quantenereignissen, nicht-kommutativen Mikrogeometrien und kurzlebigen exotischen Vakuumzuständen verschwand sie aus dem lokalen Raum, um, alle Systeme einsatzbereit, einen Kilometer von ihrer ursprünglichen Position entfernt wieder aufzutauchen. Angewidert nahm Seria Maú zur Kenntnis, dass sie sich immer noch im Schatten des Störenfrieds befand. Er war derart groß, dass er nur zu ihren Arbeitgebern gehören konnte. Für alle Fälle setzte sie ihm einen Schuss vor den Bug. Der nastische Kommandant rückte nervös von ihr ab. Gleichzeitig schickte er sein holografisches Double zur White Cat. Es hockte vor dem Tank, in dem Seria Maú lebte; aus den Gelenken der verschiedenen gelblichen Beine sickerte realitätshalber Flüssigkeit. Weshalb sie von Zeit zu Zeit zirpte, blieb Seria Maú ein Rätsel. Der knochig wirkende Schädel besaß mehr Fühler, Facettenaugen und Schleimgehänge, als ihr lieb war. Nichts, was sich ignorieren ließ.
    »Du weißt, wer wir sind«, sagte der Kommandant via Double.
    »Hältst du es für klug, ein K-Schiff so zu erschrecken?«, schimpfte Seria Maú.
    Das Double schnalzte nachsichtig.
    »Wir wollten dich nicht in Verlegenheit bringen«, sagte der Kommandant. »Wir haben uns nicht angeschlichen. Du hast unsere Sendungen einfach überhört, seit du…« – er suchte vergebens nach dem richtigen Wort und schloss nervös: »… das hier getan hast.«
    »Das war gerade eben erst.«
    »Das war vor fünf Stunden«, sagte der Kommandant. »Wir versuchen seit fünf Stunden mit dir Kontakt aufzunehmen.«
    Seria Maú war so erschüttert, dass sie die Verbindung unterbrach. Derweil das Double sich in ein braunes rauchartiges Transparent seiner selbst verwandelte – versteckte sie die White Cat in einem fernen Asteroidenschwarm; sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Sie schämte sich. Warum hatte sie sich so verhalten? Wo in aller Welt war sie mit ihren Gedanken gewesen, dass sie sich derart ausgeliefert hatte, dass sie fünf Stunden lang nicht ansprechbar gewesen war? Während sie sich zu erinnern versuchte, begann sich die Mathematik des nastischen Schiffes mit zwei oder drei Milliarden Positionsschätzungen pro Nanosekunde anzupirschen. Binnen ein, zwei Sekunden ließ Seria Maú sich finden. Das Double wirkte im Nu wieder solide.
    »Was«, fragte Seria Maú den Kommandanten, »würdest du unter der Frage nach einer Spur von mir verstehen?«
    »Nicht viel«, sagte der Kommandant. »Hast du das deswegen getan? Um eine Spur von dir zu hinterlassen? Bei uns fragt man sich, warum du deine eigene Art so unbarmherzig tötest.« Seria Maú bekam diese Frage nicht zum ersten Mal
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