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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise
Autoren: Anna Enquist
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fort von mir. Der Priester wandte das Gesicht mürrisch und verärgert von mir ab. Kurz davor zog er ganz schnell eine Augenbraue hoch. Ich sah es. Ich verstand.
    Durch das Bullauge der bleiche Himmel des anbrechenden Tages. 14. Februar, müßte ich schreiben, hätte ich nicht das Band zwischen mir und der Zeit durchtrennt. Vollkommen gelassen warte ich auf das Zeichen, das sie mir geben werden. Dann werde ich mich zu der Maskerade aufmachen, die meine Erlösung einläutet. Es ist auf den Weg gebracht!
    Rasiert. Beste Uniform angezogen. Die Sonne leckt am Bergkamm. Der Kochsmaat fragte, ob ich etwas essen wolle. Lächerlicher Vorschlag. Im Gegenteil, wollte ich sagen – ich fühlte hemmungsloses Gelächter aufkommen. Essen! Das Wunder der Umkehrung ist an diese Männer verschwendet. Ich verbarg das Gesicht hinter meinem Taschentuch und schickte den Mann fort.
    In Eile jetzt. Es ist soweit. Gierke wurde mit besorgter Miene vorstellig. Das große Beiboot der Discovery wurde heute nacht gestohlen. Um ganz sicher zu sein, erkundigte ich mich nach allen Einzelheiten. Schließlich hörte ich, was ich hören mußte: Die Leine, mit der das Boot befestigt war, war durchtrennt worden. Er hatte selbst nachgesehen: mit einem einzigen Hieb eines scharfen Messers glatt durchgehackt.
    Ich weiß genug. Die Marinesoldaten stehen bereit. Williamson, meinem nörglerischen dritten Leutnant, der immer alles falsch macht, gebe ich das Kommando über die Ruderer. Ich greife zu meiner Waffe, die mit Kugeln geladen ist. Noch eine kleine Weile muß ich wachsam sein, um meine Rolle in diesem großartigen Spiel perfekt zu erfüllen. Ich nehme meinen Hut. Ich schließe die Tür meiner Kajüte. Ich verlasse mein Schiff.
    Elizabeth erhob sich bedächtig und zog die Vorhänge weit auf, um die Sonne hereinzulassen. Sie kniete sich vor die große Kommode und mühte sich, die unterste Schublade aufzubekommen. Da lag die Uniform, bedeckt mit vergilbtem Papier. Vorsichtig hob sie die blaue Jacke mit den goldenen Tressen aus ihrem Versteck und legte sie auf dem Bett aus. Dann griff sie zu der weißen Kniehose mit den goldenen Knöpfen. Anschließend die Weste. Das Hemd, das sie kurz ausschüttelte, bevor sie es so drapierte, daß die Rüschen an den Ärmeln wie große weiße Schmetterlinge durch die Sonnenstrahlen flatterten. Die Seidenstrümpfe, zu einem glänzenden Ball zusammengerollt, wickelte sie auseinander. Der Hut mit dem goldenen Rand lag ganz hinten und war ein wenig eingebeult. Mit geballter Faust drückte sie den steifen Stoff hoch.
    Breitbeinig stand sie vor dem Bett und knöpfte ihr Kleid auf. Sie zog die Nadeln aus dem Brusttuch, band die Schlüsselkordel ab, die sie um ihre Mitte trug, und stieg aus dem Unterrock. In Hemd und Korsett trat sie vor den mannshohen Spiegel. Strümpfe, ihre Baumwollstrümpfe mußte sie natürlich ausziehen. Sie warf sie in eine Ecke. Und dann streifte sie James' Seidenstrümpfe über ihre Beine und befestigte sie weit oberhalb der Knie mit ihren eigenen Strumpfbändern. Darüber kam die Hose, in die sie ihr Unterhemd steckte, möglichst flach. Sie zog sie bis weit oberhalb der Taille hinauf und zurrte die Schlüsselkordel darum herum. Anschließend setzte sie sich auf die Bettkante, um die Knöpfe an den Knien zuzumachen. Das Oberhemd mit den Rüschen lag noch da. Vergessen. Sie zog es an, machte den improvisierten Hosengürtel wieder auf und wiederholte die Handlungen zur Befestigung der Hose. Geduld. Die Ärmel band sie so hoch, daß die Rüschen gerade eben über ihre Handrücken fielen. Halstuch. Lag noch in der Schublade. Sie band das weiße Tuch fest um ihren Hals und schlüpfte in die perlweiße Weste. Sie reichte ihr bis weit über die Hüften. Nun mußte sie ihre eigenen Schuhe anziehen, denn die von James waren viel zu groß. Zögernd ging sie vor dem Spiegel auf und ab, bis sie Mut faßte und die Jacke über ihre Schultern zog. Sie nahm den Hut unter den Arm und betrat den Strand.
    Der König schläft noch in seiner Hütte. Seine beiden Jungen spielen mit Kokosnüssen vor dem Eingang und wollen ihren Vater gern wecken. Es dauert und dauert, die Dorfbewohner kommen aus ihren Hütten und drängen sich um die Marinesoldaten. Als der König endlich herauskommt, ungewaschen, in Schlafgeruch eingehüllt, beginnen die Frauen, an seinem Mantel zu ziehen. Die Jungen sind schon zum Strand gerannt, der Ältere ist in das Beiboot geklettert und wartet dort auf seinen Vater. Ein Knall erschallt, auf der
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