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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise
Autoren: Anna Enquist
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einem Ort angelangt, wohin ich gehöre?
    18. Januar, mitten in der Nacht. Ich bin aus dem Bett aufgestanden, um an dem kleinen Sekretär zu schreiben. Mit einem Mal wußte ich, woran mich diese Küste erinnerte. Die dunkle Felswand, die das Dorf ins Meer zu schieben wollen scheint: Staithes! Das heißt, daß das Landesinnere dahinter meine Heimat ist. Ich muß so schnell wie möglich dorthin. Jetzt, da ich hier wach sitze, springt mich das Bild vom Eismeer an, das wir hinter uns ließen. Meine Haare stinken nach Kokosöl. Damit haben sie uns heute nachmittag gesalbt. Eis entsteht auf dem offenen Meer, dafür braucht es keinen Fluß. Das weiß ich jetzt mit Gewißheit. Wo Asien und Amerika einander beinahe berühren, fuhren wir nordwärts. Es gibt dort keine Passage. Kein Triumph. Keine zwanzigtausend Pfund. Es ist völlig zwecklos, im kommenden Sommer nochmals dorthin zufahren. Wieder werde ich mit einem negativen Ergebnis heimkehren. Voriges Mal kein Südland, jetzt keine Handelsroute. In gewisser Hinsicht befriedigt mich das; ein verlockendes schwarzes Gebiet, alles, was nicht ist. Kein Erfolg, keine Frau, keine Tochter. Dies sind Arbeitsnotizen. Mein Gedächtnis bedarf einer Stütze, so wie Hugh Palliser seinen Stock benötigt. Die kommenden Tage werde ich der Erforschung von Sitten und Gebräuchen widmen, namentlich der Religion. Gore kann die täglichen Routineaufgaben erledigen. Nach meinen Recherchen fasse ich alles in einem neuen Kapitel ›bemerkenswerte Begebenheiten‹ zusammen. So mein Plan.
    20. Januar. King hat das Beobachtungszelt nahe dem Altar aufgestellt. Nördliche Breite 19° 30' westliche Länge 155° 30'. Ein jeder kann in Ruhe seiner Arbeit nachgehen, denn die Priester haben das Gebiet mit ihren Zauberstäben, die mit Hundehaar verziert sind, für tabu erklärt. Ich brauche nur auf etwas zu deuten, schon bringen sie es. Wo immer ich gehe, fallen die Menschen aus Ehrfurcht vor mir auf den Boden. Für den Proviant bezahlen wir nicht mehr. Alles steht mir zu. Koa, mein Hohepriester, hat es erklärt. Alljährlich rudern die Eingeborenen zu Ehren ihres Gottes Lono ein mit einem weißen Laken bedecktes Staket im Uhrzeigersinn um die Insel herum. Sie bringen Lono Opfergaben, um ihn milde zu stimmen. Wenn der Monat Januar anbricht, harren sie seiner Ankunft. Jetzt ist Lono tatsächlich gekommen, auf einem riesigen Schiff voller weißer Segel. Ich wußte nicht, daß ich ein Gott bin. Die Insulaner verfügen über eine Weisheit, die nicht durch Prunksucht und Ehrgeiz verdorben wurde. Meiner Mannschaft gegenüber, argwöhnischen und mißgünstigen Leuten, tue ich so, als wäre nichts. Bekommt Lono nur Schweine, oder gebührt ihm das äußerste Opfer? Wie sonderbar, daß ich in dem Moment, da mich der Mißerfolg niederschmettert, zum Gott erhoben werde. Ich muß alles um hundertachtzig Grad drehen, um es zu begreifen. Jahrelang habe ich mich abgeplagt, um diese Inseln wirklich zu besitzen. Mit Besitzen meine ich: Verschlingen.
    Senfsaat legte ich in den Boden, Kürbiskerne, Steckzwiebeln. Ich setzte Ziegen und Rinder aus, ich tat alles, um die dunkle Erde zu durchbohren und abzugrasen. Besitzen, ja.
    Meine niederträchtigen Matrosen nennen Koa ›den Bischof‹ und machen demütigende Witze über den Respekt, der mir entgegengebracht wird, wenn sie nicht gerade dabei sind, die hawaiianischen Frauen zu bespringen und sich zu besaufen. Überall, wohin ich kam, habe ich Berge bestiegen, um über das Land zu blicken. Hier befängt mich ein Zaudern, eine Angst vielleicht. Sollte ich die Vorstellung vom Beherrschen und Besitzen vielleicht besser aufgeben? Meine Gedanken gehen in eine Richtung, der ich nicht folgen möchte.
    26. Januar, jedenfalls nach britischer Zeitrechnung. Heute erschien der König. King nennt ihn ein abgezehrtes altes Kerlchen, täte aber gut daran, Respekt für diesen Herrscher aufzubringen, der sich spontan den Königsmantel vom Leib riß, um, ihn mir um die Schultern zu legen. Insgesamt bekam ich sieben Mäntel zum Geschenk, dicht gewebt aus den feinsten Vogelfederchen in kräftigen Farben. Gore lag mir in den Ohren, daß wir Brennholz fassen müßten, ansonsten habe er alles für die Abreise an Bord, sagte er: Wasser, gepökelte Schweine, Kokosnüsse. Ich schritt hinter meinen Mänteln her zum Beiboot, zwischen zwei Reihen auf dem Bauch liegender Eingeborener, und dachte an die Bedeutung von Geschenken. Ich wies Gore auf die einfallende Umfriedung des Tempels hin. Wenn er die geborstenen
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