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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz
Autoren: Marcia Muller
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Graffiti verantwortlich ist.« Ich sah auf die Uhr. »Übrigens, wo
bleibt denn Nueva? Er wollte mich um fünf Uhr anrufen, und jetzt ist es fast sechs.
Ich habe noch nie erlebt, daß er bei einer so einfachen Sache mit leeren Händen
ankam — und schon gar nicht, daß er sich zehn Dollar extra entgehen ließ.«
    Rae kam auf mich zu. »Shar, ich muß
noch ein paar Besorgungen machen, bevor ich zu dir komme«, sagte sie. »Kann ich
einen Zweitschlüssel haben für den Fall, daß du nicht da bist, wenn ich
ankomme?«
    »Sicher. Frag Ted nach seinem.«
    Sie nickte und ging zur Tür.
    Jack hob die Augenbrauen.
    »Ich habe vorübergehend eine
Wohnungsgenossin. Das Dach ihrer Mansarde ist offen, solange die Oberlichter
nicht eingesetzt sind. Also habe ich ihr mein Gästezimmer angeboten.«
    »Oberlichter — du meine Güte. Ich weiß
nicht, warum Hank so ein weiches Gemüt hat, wenn es um Rae geht. Er verwöhnt
sie total. Sie hat doch schon ein Drittel des ganzen Dachgeschosses mit
Beschlag belegt. Wieso braucht sie jetzt auch noch Oberlichter?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Rae hat
etwas, das einen dazu bringt, sie verwöhnen zu wollen.«
    »Wahrscheinlich. Warum wohnt sie bei
dir und nicht bei Willie?«
    »Er ist dieses Wochenende in Reno und
macht dort einen neuen Laden auf, und ich glaube, sie ist in seiner Abwesenheit
nicht gern in diesem großen Haus.« Willie Whelan, Raes derzeitiger Liebhaber,
hatte seine Ladenkette mit Billigjuwelen auf Nevada ausgeweitet. Bald würden
die meisten Neuvermählten, die ihren Bund im Heiratsmekka des Westens
geschlossen hatten, bis zum Hals in seiner Schuld stehen. »Rae hat mir
versprochen, meinen Garten für die Frühlingsbepflanzung in Schuß zu bringen«,
fügte ich hinzu.
    »Ein bißchen spät, nicht? Wir haben
bereits Ende Mai.«
    »Nicht so spät wie letztes Jahr. Da
habe ich nicht einmal Petunien in die Erde bekommen. Rae und ich haben uns ein
heißes Wochenende vorgenommen: harte Arbeit im Garten, ein kulinarisches Experiment
mit Larrys Pilz-Enchilada-Rezept, und dann früh ins Bett — allein.«
    »Hy kommt nicht hergeflogen?«
    Hy ist Pilot und besitzt eine Citabria
Decathlon, eine kleine Kunstflugmaschine, in der zu fliegen der schiere,
manchmal auch furchterregende Spaß ist. »Ich habe nichts von ihm gehört, also
nehme ich es nicht an. Aber man weiß ja nie. Er gehört zu den am wenigsten
einschätzbaren Menschen auf der Welt.« Und zu den verwirrendsten, fügte ich für
mich hinzu. »Wie dem auch sei, ich hoffe an diesem Wochenende vor allem, daß
das Wetter hält, damit ich mich am Sonntag faul auf der Terrasse ausstrecken
und die Früchte unserer Arbeit genießen kann.« Ich machte eine Pause. »Habt ihr
beiden, du und Judy, für morgen abend schon Pläne?«
    »Nein. Wir planen auch nur so ein
heißes Wochenende für uns allein. Warum?«
    »Wie wäre es, wenn ihr zu unserer
Pilz-Enchilada kämt? Und Lis mitbrächtet. Das wäre für uns alle eine gute
Gelegenheit zu einem Gespräch, zumal ich vorhabe, mir heute abend das Protokoll
anzusehen.« Während ich noch redete, entstand in meinem Hinterkopf ein Plan:
Ich würde mir den Fall durchlesen, meine Gäste abfüttern, ein paar
provozierende Bemerkungen machen, die Raes Interesse weckten, und ihr dann den
ganzen Fall übergeben. Das war vielleicht ein bequemer Ausweg, aber Rae war
eine gute Ermittlerin, und ich konnte ihr immer noch beispringen —
möglicherweise sogar effektiver, da ich so eine gewisse objektive Distanz
halten konnte.
    Jack sah mich skeptisch an. »Die
Einladung zum Dinner klingt gut, aber was die Enchiladas angeht, weiß ich nicht
recht. Bei Koslowskis Rezepten...«
    »Rae hat sie schon ausprobiert, und sie
sagt, sie sind gut. Daß ich sie jetzt auch versuche, gehört zu meinem Vorsatz,
künftig gesünder zu essen.«
    »Du sprühst ja derzeit vor guten
Vorsätzen.«
    »Bislang arbeite ich nur an meinen
kleineren Fehlern. Die größeren würden mehr Kraft erfordern, als ich im
Augenblick aufbringen kann.«
    »Gut, wir kommen gern zum Dinner. Es
wird Lis guttun, aus dem Hans zu kommen. Den Wein bringen wir mit — einen
kräftigen, mit dem man den spezifischen Beigeschmack weggespült kriegt, der
Larrys Rezepte immer begleitet.«
    Ich lächelte. »Dann bis morgen abend um
sieben.«
    Nachdem ich mein leeres Weinglas in das
Spülbecken gestellt hatte, ging ich durch den Empfangsraum zu Teds Schreibtisch
und schaute nach, ob jemand einen Anruf von Tony Nueva für mich
entgegengenommen und mir nicht
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