Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
Buchenwald vorgehe.
    „Die sind noch vom ersten Lagerleiter, Standartenführer Karl Koch. Der wird sie wohl demnächst abholen lassen.“
    „Von Koch?“, fragte Schmelz mit schärferem Ton, als er es gewollt hatte. Augenblicklich war er wie elektrisiert und hatte große Mühe, Gelassenheit vorzutäuschen, während er nachfragte, welchen Grund Koch gehabt habe, die Bären hierher zu bringen, womit er sie finanziert habe und woher er die Tiere überhaupt habe.
    Sturmmann Heinze konnte als Antwort nur mit den Achseln zucken. Erst wirkte er ein wenig verstört, dann drückte sein jugendliches Gesicht echten Kummer aus. Schmelz sah ihm an, wie gern der Junge ihm geholfen hätte, doch offensichtlich wusste er nicht wie.
    „Schon gut“, sagte Schmelz, der sich an seine Zeit als Ermittlungsrichter in Krakau erinnerte, bevor er degradiert und an die Ostfront versetzt worden war: „Ich sehe Ihnen an, dass Sie es nicht wissen.“
    „Zu Befehl, Obersturmführer!“ Sofort wich der Kummer aus dem Gesicht und machte Erleichterung Platz. Schmelz grinste schon wieder. Wieso musste er auf einmal ständig grinsen? Tja, seine Menschenkenntnis hatte ihn nicht getäuscht. Erfahrung war eben doch das A und O in seinem Geschäft.
    Schmelz war sich sicher, dieser Junge da werde ihm ein zuverlässiger und treuer Fahrer sein. Dieser Heinze sei ehrlich und ein wenig dumm wie die meisten Pommern. Und dankbar, hier wegzukommen. Und Dankbarkeit, wusste Schmelz, sei das Fundament der Treue. Was immer in diesem Lager vorgehe, der Junge da, der wolle weg, überlegte Kurt Schmelz, entweder nur weg oder einfach nur Auto fahren? Das Vorrecht der Jugend sei es, nicht lügen zu müssen.
    Alliierte Luftangriffe zerstörten am elften Juni dreiundvierzig fast die gesamte Stadt Düsseldorf, Himmler ordnete die Liquidierung aller polnischen Ghettos an, und in Paris wurde Sartres Stück „Die Fliegen“ uraufgeführt, während ich drei Tage zuvor am Tor zum Tod stand, auf den Lagerleiter wartete und mir meine Gedanken über einen trotteligen SS Mann machte, ehe mich Standartenführer Pister einließ, damit ich meine Pflicht erfüllen konnte, dachte der zweiundsiebzigjährige Schmelz und sah sich weiterhin in die Augen: „Die Fliegen“!
    Bestimmt wolle er nur Auto fahren, meinte Schmelz und fragte: „Haben Sie überhaupt etwas übrig für Autos, Motoren, Flugzeuge, Sturmmann Heinze?“
    Der einfache SS Mann kam nicht mehr dazu, den Mund aufzumachen, rief der Lagerleiter doch in diesem Moment schon von Weitem Schmelz eine Begrüßung zu. Schmelz sah den jungen Sturmmann zusammenzucken und dessen Augen geradezu aufleuchten. Er lächelte, freute sich über den Glanz in den jungen Augen, der ihn ein wenig die Schreie der Verstümmelten vergessen ließ, zwischen denen er an der Ostfront gekrochen war und getötet hatte. Verstümmelte, die er im Prasseln der Stalinorgeln zurückgelassen hatte, und nun diese Vorfreude des Jungen. Schmelz war gerührt, doch ein Zwinkern untersagte er sich dann doch. Er nahm den Koffer, Sturmmann Heinze öffnete ihm das Tor, und Schmelz kam dem Lagerleiter ein paar Schritte entgegen, nachdem er kurz gezögert hatte, ins Innere Lager von Buchenwald zu treten.
IV
    „Obersturmführer“, grüßte Standartenführer Pister, obwohl er noch gute zehn Meter von Schmelz entfernt war: „Stehen Sie da doch nicht so herum, Mann, kommen Sie! Kommen Sie ruhig hereinspaziert! – Oder wie der Berliner sagt: Komm’ Se rin, könn’ Se rauskieken.“
    Doktor Kurt Schmelz grüßte den ranghöheren Offizier, kam ihm entschlossen entgegen und hielt den ernsten Blick Pisters aus, der ihm so gar nicht zu den unverfänglichen Worten zu passen schien. Er schaffte es zwar nicht, Pisters Blick niederzuringen, aber immerhin senkte auch er seinen Blick nicht, beruhigte Schmelz sich. Die beiden Männer standen sich gegenüber, unentschlossen, ob sie einen Freund oder Feind vor sich hatten. Einen Augenblick lang schwiegen sie, ehe Pister sagte: „Sie brauchen keine Angst zu haben, Obersturmführer …? Schmelz? Kurt Schmelz aus Frankfurt am schönen Main?“
    „Jawohl, Obersturmführer Doktor Kurt Schmelz. SS Ermittlungsrichter und Beamter der Kriminalpolizei Berlin, Standartenführer, und mit Sonderbefehl und Sonderbefugnissen vom Reichsführer SS ausgestattet.“
    „Richtig! Und Sie wollen unserem netten, kleinen Schutzhaftlager nun einen Besuch abstatten. Warum denn, wenn ich fragen darf?“
    „Das möchte ich vorerst noch für mich behalten. Zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher