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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Truppentransporte nach Osten, Verwundetentransporte zurueck. Kohlenzuege, Erzzuege, Gueterzuege, auch Personenzuege. Die Menschen steigen um, die jungen lustig, die alten muerrisch, alle abgearbeitet, als waere es die alltaeglichste Sache der Welt.
    Ich sah auch die gestreiften Anzuege der Haeftlingstransporte, die aber alle von Auschwitz weggingen. Es kam keiner an!
    Allerdings ist das Konzentrationslager nicht zu uebersehen. Von aussen bot es den gleichen Anblick, wie wir ihn schon von anderen Lagern kennen: Hohe Mauern, Stacheldraht, Wachtuerme, Posten, die auf und abgehen, ein Tor, geschaeftiges Treiben der Haeftlinge, nichts Auffaelliges.
    Ich meldete mich beim Kommandanten, Obersturmbannfuehrer Hoess, ein etwas untersetzter, wortkarger, einsilbiger Mann mit steinernem Gesicht.
    Mein Ankommen hatte ich durch Fernschreiben angekuendigt und eroeffnete ihm, dass ich hier Untersuchungen zu fuehren habe. Er antwortete, sinngemaess, dass ihnen hier eine ungeheure harte Aufgabe übertragen sei, der charakterlich nicht alle gewachsen seien, und fragte, wo ich beginnen wolle. Ich sagte, zuerst muesse ich mir einen Ueberblick verschaffen, worauf er auf den Dienstplan sah, einen Hauptsturmfuehrer herbei telefonierte, der mich durch das ganze Lager fuhr. Ich sah alles!
    Und ich begann mit dem Ende, die Rampe in Birkenau. Sie sah wie jede andere Rampe eines Gueterbahnhofs aus. Keine besonderen Vorkehrungen, weshalb ich meinen Fuehrer nach dem Ablauf befragte: Kurz vor Eintreffen wird der Transport, meist Juden, dem Lager gemeldet. Es rueckt eine Wachmannschaft aus, die Gleise und Rampe absperrt. Die Tueren der Waggons werden geoeffnet. Die Ankoemmlinge steigen aus, setzen ihr Gepaeck ab. Maenner und Frauen getrennt.
    Es wird nach Rabbinern gefragt. Rabbiner und sonstige bedeutende Persoenlichkeiten werden ausgesondert und in eine Baracke gebracht, die sie für sich haben. Ich habe sie persoenlich gesehen, sie ist gut erhalten, keiner der Bewohner muss arbeiten, es wird lediglich von ihnen erwartet, dass sie moeglichst viele Briefe und Postkartengruesse aus Auschwitz in die weite Welt schicken. Um jeden Verdacht von vorne herein zu zerstreuen. Vielleicht ist so auch zu erklaeren, warum die Juden alle so arglos herkommen?
    Dann wird nach Spezialisten gefragt, das Lager ist ja mit grossen Industriebetrieben verbunden, und der Rest wird nach arbeitsfaehig und nicht arbeitsfaehig getrennt. Die Arbeitsfaehigen marschieren zu Fuss ins Lager und werden regulaer als Haeftlinge aufgenommen, eingekleidet und eingeteilt. Die andere Gruppe wird auf Lastwagen verfrachtet und wird sofort, ohne namentliche Erfassung, in die Gaskammern von Birkenau gebracht.
    Es gibt hier einen schwarzen Witz: Wenn man keine Zeit habe oder kein Arzt da sei oder zu viele Ankoemmlinge da seien, dann verkuerze man gelegentlich die Prozedur, indem man ausrufe, in moeglichst hoeflichen Worten, das Lager sei einige Kilometer entfernt, wer sich krank oder schwach fuehle, oder wem das Gehen zu unbequem sei, moege auf den Lastkraftwagen Platz nehmen. Meistens setze dann ein Massenansturm auf die Autos ein. Nur die, die nicht mitkommen, koennen ins Lager marschieren, die anderen haben unbewusst den Tod gewaehlt.
    Von der Rampe folgte ich dem Weg der Todesfracht nach Birkenau. Aeusserlich auch nichts Auffaelliges: Ein grosser Maschendrahtzaun, etwas windschief, mit nur einem Posten. Dahinter das so genannte Lager „Kanada“, wo die Effekten der Opfer durchsucht, geordnet, weiter verwendet werden.
    Vom letzten Transport sah ich eine Menge aufgebrochener Koffer, Waeschestuecke, Aktentaschen, ganze Zahnarzteinrichtungen, Schustereinrichtungen, Medikamententaschen liegen.
    Die so genannten Evakuierten sind wirklich der Auffassung, sie wuerden im Osten angesiedelt, sich eine neue Existenz aufzubauen.
    Hinter „Kanada“ sind die Krematorien: Einstoeckige Hallen mit Satteldaechern, die genauso gut Werkschuppen oder kleine Werkstaetten sein koennten. Selbst die breiten, massiven Schornsteine brauchen dem Laien nicht aufzufallen, denn sie sind sehr niedrig, enden kurz über dem Dach. Auf der Seite, wo die LKW anfahren, ist der Boden schraeg vertieft, etwa in Schulhofgroesse, mit Schlacke bestreut. Fahren die Autos in die Hallen, stellt der Aussenstehende nur fest, dass sie ploetzlich in einer Bodensenkung verschwunden sind, ohne selbst feststellen zu koennen, wo die Transporte geblieben sind.
    Also wieder eine dieser raffinierten, aber im Grunde primitiven
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