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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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doch den Koffer ab. Er nahm die Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    „Hitze heute, was?“, sagte er und hörte vom Wachposten: „Zu Befehl, Obersturmführer, Hitze heute!“
    Breit übers ganze Gesicht grinste Schmelz und steckte damit den jungen Mann an. Ein hochaufgeschossener, hohlwangiger Junge mit Sommersprossen auf dem ganzen Gesicht. Wie alt mochte er sein, fragte sich Schmelz, einundzwanzig, zweiundzwanzig oder erst achtzehn, ehe er befahl, der Mann solle sich rühren.
    Jetzt lächelte auch der Wachposten, versetzte einen Fuß zur Seite und ging leicht in die Knie. Der Oberkörper sackte ein wenig nach unten, die Mündung der Pistole zeigte auf den Boden.
    „Woher stammen Sie, Mann, und wie ist Ihr Name?“
    „Aus Tutow.“
    „Ach, Pommernland! Noch immer nicht abgebrannt! – Da, wo der Nachschubflugplatz ist!“
    „Ja, genau! Von da“, der Junge grinste und fügte hinzu, sein Name sei Christian.
    „Mensch!“, brauste Schmelz lachend auf: „Ich meine Nachname! Was kümmert mich dein Vorname!“
    „Zu Befehl!“, schrie der Pommer, straffte sich augenblicklich und schrie: „Heinze, Sturmmann Heinze!“
    „Rühren! Die Pommern sind die treuesten, meinte schon Bismarck. Sagen Sie, können Sie Auto fahren?“
    „Jawohl, Obersturmführer!“
    „Ich werde hier einen Fahrer brauchen. Einfache Strecken. Komme auf Sie zurück.“
    „Jawohl, Obersturmführer!“
    Schmelz sah, wie betont gehorsam sich der Junge geben wollte, doch er sah auch, wie sehr seine Augen leuchteten. So ist die Jugend, dachte er, leicht zu begeistern, schwer zu besiegen.
    Er fixierte jetzt erst das Eingangstor, das immer noch zwischen dem Wachposten und ihm lag. Es war etwa drei Meter hoch, war oben mit Stacheldraht abgesichert und hatte an den Seiten dicke Pfosten, die in den Boden betoniert worden waren. Von ihnen ging ein hoher Zaun ab, elektrisch gesichert, der das Innere Lager vom äußeren trennte. Etwa alle hundert Meter stand dicht am Zaun ein Wachturm. Sie waren alle mit SS Männern besetzt, die mit zum Schuss bereiten Gewehren das Gelände des Inneren Lagers absicherten.
    Komisch, dachte Kurt Schmelz, dass die Schießscharten alle nach innen zeigen. Was für seltsame Wachtürme sind das denn? So kann man doch das Lager unmöglich vor Eindringlingen schützen. Was wird hier nur fabriziert?
    Er sah wieder auf das Tor und bemerkte jetzt erst die Verzierung im verschweißten Gitter. Von weitem hatte das Tor auf ihn verschnörkelt und verspielt gewirkt, doch nun erkannte Schmelz die Strenge und Klarheit der Struktur. Er trat einen Schritt zurück und las: ‚Jedem das Seine‘.
    Die Worte bildeten eine halbrunde Linie, genau in Kopfhöhe, und Doktor Kurt Schmelz wunderte sich über diese Worte. Er zog die Stirn in Falten, und Sturmmann Heinze, der die krause Stirnhaut bemerkte, erlaubte sich, zu erklären, es handele sich um einen Satz des großen deutschen Dichters Goethe, der hier in der Nähe gelebt habe. Soviel dürfe er sagen.
    Kurt Schmelz nickte bedächtig und fragte, was sie genau zu bedeuten haben und was es für einen Sinn habe, sie ins Tor gesetzt zu haben.
    „Darüber darf ich keine Auskunft geben, Obersturmführer. Befehl des Lagerleiters.“
    „In Ordnung, ich frage ihn direkt“, sagte Schmelz und musterte die Umgebung.
    Hinter dem Zaun war keine Menschenseele. Das ganze Lager strahlte eine Ruhe aus, die Schmelz zuerst nervös machte. Er kam ja direkt aus dem bombardierten Berlin, über das tags Fliegende Festungen hereinbrachen. Und noch letzte Woche war er an der Ostfront gewesen. Und nun diese Ruhe hier. Fehlte nur noch Glockengeläut. Zuletzt hatte er in der Division Wiking die Stellung an irgendeinem dieser verdammten Flussufer gehalten, bis die Russen sie dann doch Kilometer weit zurückgejagt hatten, mitten hinein ins Prasseln der Stalinorgeln. Und nun stand er hier, von Himmler selbst geschickt, und sah nichts als Frieden und Waldesruhe. Wie kam er jetzt nur auf den Begriff ‚Waldesruhe‘? Er wandte sich vom Tor ab und sah rechter Hand einen Zwinger mit Braunbären außerhalb des Maschendrahtzauns.
    „Was haben Sie denn da für eine Attraktion?“, fragte Schmelz. Er sah die vier Bären zwischen einer Gebirgsnachbildung faul in der Sonne liegen. Der größte lag ein wenig abseits, die zwei kleinen hatten es sich auf der Mutter bequem gemacht. Alle vier Schnauzen zeigten in Richtung Inneres Lager. Was für eine seltsame Idee, fand Schmelz, ehe er sich fragte, was genau in
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