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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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also prüfen Sie das! Lassen Sie es bis morgen früh, zehn Uhr, prüfen. Ich hoffe, Sie gegen zehn hier anzutreffen?“
    „Aber immer!“, sagte Pister und lachte heiser auf: „Das ist mein Wohnzimmer hier!“
    Schmelz nickte, drehte sich um und ging zum Tor zurück, das ihm Sturmmann Heinze bereitwillig aufriss, wobei dieser aber vergaß, zu seinem Vorgesetzten zu schauen.
    Pister wollte den Obersturmführer erst zurückpfeifen, schließlich habe er den höheren Dienstgrad und beende somit das Gespräch, wann er es für nötig halte, unterließ es dann aber doch, während Schmelz zuerst mit klopfendem Herzen zum Tor ging, sich dann aber schnell beruhigte, als er sich sicher war, der Standartenführer akzeptiere ihn als gleichwertig. Schmelz war klar, er hatte alles auf eine Karte gesetzt, es hätte auch gründlich schief gehen können, und atmete erst einmal tief durch, während er davonmarschierte.
    Der Standartenführer hätte auch auf die Rangordnung bestehen können, doch der Test sei geglückt, die Fronten seien geklärt. Auch für Pister, meinte Schmelz. Er fragte sich zwar, als er das Tor des Schutzhaftlagers hinter sich ließ, ob er den Standartenführer zu fest angepackt habe, ob er zu heftig mit ihm umgesprungen sei, schließlich sei auch er auf diesen Pister angewiesen. Ohne Pisters Hilfe werde seine eigene Mission scheitern, darüber war Schmelz sich im Klaren, und jetzt erst merkte er, wie dünn das Seil gewesen war, auf dem er sich bewegt hatte.
    Noch einmal atmete er tief durch und dachte: Ich darf die Schraube nicht überdrehen: ‚Nach fest kommt locker und nach locker kommt Anschiss!‘
V
    Fünf vor halb zehn, das muss kurz vor halb gewesen sein, stand ich am nächsten Morgen im Lager, dachte der zweiundsiebzigjährige Schmelz. Während Bochum von der Luft aus bombardiert wurde, stand ich auf dem Appellplatz von Buchenwald und genoss den Anblick der geraden und geharkten Wege.
    Zwischen den Wegen befanden sich Unmengen von Blumenbeeten. Ein einziges Blühen an diesem schönen Junimorgen. Die Sonne schien, ohne zu drücken oder zu stechen, und ein milder Wind wehte. Ich streckte mich, vermied es aber, die Arme zu heben, und labte mich an der Sauberkeit und Ordnung des Lagers. Die geraden Wege führten im Halbkreis zum Appellplatz, wobei der Platz selbst gerade erst geharkt worden war. Keine Spuren im Sand. Er lag ein wenig erhöht. Von ihm aus konnte man den Hang hinunter sehen, die Wege entlang. Links und rechts dieser Wege standen sich die Baracken mit den Eingängen gegenüber. Paarweise, gute fünf Kilometer weit. Wie viele Baracken, und an diesem Morgen nicht ein einziger Mensch! Alle waren zur Arbeit. In der Produktion der Gustloff Werke zwei oder der Deutschen Ausrüstungswerke oder im Steinbruch. Nicht einmal aus den Werkstätten, die sich direkt neben dem Platz befanden, drang ein Geräusch. Eigenartig. Oder waren da Geräusche gewesen, an die ich mich jetzt nur nicht mehr erinnere?
    Arbeitsgeräusche, die ich gar nicht mehr gehört hatte, weil ich ja direkt aus dem bombardierten Berlin kam?
    Jedenfalls, hinter den Baracken standen dicht nebeneinander im kräftigsten, glänzenden Grün die Buchen, und hinter den Bäumen erstreckte sich ein weites Tal mit Wäldern und abgemähten Feldern, und hinter dem Tal waren am Horizont Hügel und Bergketten zu sehen. Der Wind wehte warm und einige Schönwetterwolken durchzogen den blauen Himmel.
    „Schöner Blick, was?“, sagte Standartenführer Pister, woraufhin Schmelz zusammenzuckte und fragte, ob der Lagerchef sich immer so anschleiche, bevor dieser fortfuhr: „Was ist eigentlich so geheim an den Konzentrationslagern, dass niemand hinein darf?“
    Pister zeigte mit weit ausholender Geste auf die Umgebung und sagte: „Nun schauen Sie sich doch nur diese Schönheit an! Lassen Sie sie wirken! Uferlose Natur, in die ordentlich und korrekt die Baracken gesetzt sind. Haben Sie bemerkt, dass sie alle frisch gestrichen sind? Riechen Sie mal! Naturlack. Den zu bekommen, das war eine Büroarbeit, das kann ich Ihnen sagen, nichts als Anträge, Anträge, Anträge, aber man hat ja schließlich so seine Kontakte, was Obersturmführer? So ganz allein steht man ja nun auch nicht da, was?“
    „Antworten Sie mir!“, sagte Schmelz, der jetzt erst bemerkte, dass sie das Tor im Rücken hatten, über dem sich eine Wachstation befand, in der Waffen SS konzentriert das Gelände des Lagers überwachte. Dass es sich dabei um einen abfallenden Hang handelt, dachte
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