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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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hart arbeiten. Sehen Sie sich nur um hier. Das sind alles potenzielle Fälle! Die wollen alle bestraft sein! – Bis dann!“
    „Bis dann“, erwiderten die vier Männer im Chor und sahen ihm nach, diesem Sturmbannführer Doktor Kurt Schmelz, der da im Wirrwarr der vielen glänzenden Uniformen verschwand, ohne zu wissen, ob sie ihn noch einmal wiedersehen würden. Sie hofften es, aber Hoffen war eben nicht Wissen; oder wie es Schmelz gesagt hätte, dachte Tarnat: Handeln ist nicht Hoffen und Hoffen ist nicht Handeln und Wahrheit ist das, was sich am Ende auszahlt.
    „Überleben Sie! Überleben Sie, das wünsche ich mir, mein Junge, überleben Sie! – Befehl von oben!“, flüsterte der Erbprinz, während die Alliierten bei Saarlautern in den Westwall eindrangen und amerikanische Bomber Tokio angriffen.
    An der Tür drehte sich Schmelz noch einmal um, winkte ihnen zu und stieg die Stufen zum Vorplatz hinunter, während sich Großadmiral Karl Dönitz beim Propagandaminister beschwerte, der Film Große Freiheit Nummer sieben, in dem auch Hans Albers mitspiele, sei eine Schande. Der Anblick trinkender Matrosen sei eine Schädigung des Ansehens der deutschen Marine. Goebbels erwiderte, er sei derselben Meinung, jedoch störe ihn besonders der Filmtitel und das Prostituiertenmilieu des Filmes. Dies passe nicht zum Bild der deutschen Frau. Er versprach Dönitz, den Film verbieten zu lassen, was er am zwölften Dezember vierundvierzig auch tat.

VOLLSTRECKT

Neun Tage später schlossen Einheiten der Roten Armee die ungarische Hauptstadt Budapest ein und gewannen auch im Norden Land. Stalin kam mit dieser sowjetischen Offensive einer dringenden Bitte des britischen und des amerikanischen Oberkommandos nach, er möge einen großen russischen Angriff möglichst an der Weichselfront und bitte noch im Januar beginnen, um die Westfront zu entlasten.
    Die Westalliierten waren verängstigt, hatte die Wehrmacht doch in den belgischen Ardennen an diesem sechzehnten Dezember vierundvierzig die letzte deutsche Großoffensive begonnen, mit der sie die Gegner zurückdrängen konnte, was den Eindruck vermittelte, die Wehrmacht verfüge noch über unbekannte Reserven.
    Jedoch wurden Teile der Wehrmacht nach Ungarn verlegt, sodass die Deutschen in den Ardennen nicht mehr weiter vorrücken konnten. Sie verteidigten zuerst, wurden dann aber überrannt, während die deutsche Luftwaffe mit achthundert Bombern und Jägern alliierte Flugplätze in Nordfrankreich und Belgien anflog und Hunderte von Maschinen zerstörte. Die Luftwaffe verlor bei diesem Angriff selbst Hunderte von Bombern und Jägern, und als das Geschwader sich auf dem Rückflug befand, geriet es in eine Sperrzone mit V zwei Abschussrampen. Die eigene Flak eröffnete irrtümlich das Feuer und schoss knapp zweihundert deutsche Maschinen vom Himmel. Doch war es wirklich nur ein Irrtum?
    Die deutsche Ardennenoffensive hatte zuerst die Briten und Amerikaner verunsichert, als sie jedoch nach nur drei Wochen, im Januar fünfundvierzig, zusammenbrach, setzte der Weststurm mit aller Macht ein. Vier lange Monate sollte das Kriegsende noch auf sich warten lassen, Chaos und Flucht, vier Monate, in denen mehr Deutsche starben als in all den Jahren zuvor.
    Besonders die Idee des Volkssturms stellte sich als das größte Mordinstrument der Nazis an den Deutschen heraus. Gebrechliche Greise, Kindersoldaten und Frauen, die noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatten, standen den verbitterten, aufs Blut gereizten Sowjets gegenüber, die bereits Tausende von Kilometern marschiert waren.
    Während die Briten auch im Januar fünfundvierzig einen Bomber nach dem anderen über deutsche Städte schickten, die vierzehnte britische Armee eine Offensive im fernen Nordburma eröffnete, die Anführer der Deutschen zum ‚Volksopfer für den Volkssturm‘ aufriefen, die sowjetische Großoffensive gegen Deutschland begann, die Reichsbahn den Verkehr einstellte, die Sowjets in Pommern eindrangen, da verstarb am zweiundzwanzigsten des Monats die Dichterin Else Lasker-Schüler in Jerusalem und am sechsundzwanzigsten Januar fünfundvierzig erreichten die Armeen von Rokossowski und Tscherjakowskij die Ortschaft Tolkemit am Frischen Haff.
    Ostpreußen war damit vom Reichsgebiet abgeschnitten, der Flüchtlingsstrom über die Ostsee riss nicht mehr ab, doch ich blieb weiterhin in Königsberg, erinnerte sich der sterbende, reglos verharrende Schmelz in der kalten und stinkenden Gruft seiner Frankfurter
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