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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal
Autoren: Thilo Scheurer
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er sich eine Problemstellung nur anhören, und schon begann sich das Programm wie von selbst vor seinem geistigen Auge zusammenzusetzen. Die Lösung existierte in Form von Codezeilen, Anweisungen und SQL -Abfragen in seinem Kopf, bevor er die Tastatur überhaupt anfasste. Natürlich beherrschte er eine Reihe weiterer Programmiersprachen, und eine neue zu erlernen, fiel ihm nicht schwerer, als die Tageszeitung zu lesen. Mit dieser äußerst seltenen Begabung hatte er es in der digitalen Welt bereits weit gebracht. Dutzende Trojaner und Viren, mit denen er die Grenze der Legalität schon lange überschritten hatte, stammten aus seiner Feder.
    Vor einigen Monaten erhielt seine letzte Kreation vom weltweit führenden Antivirenhersteller den ebenso klangvollen wie martialischen Namen FastDeath.X32 . Vermutlich, weil dem Wurm kein Computer, egal mit welchem Betriebssystem, länger als ein paar Sekunden standhielt. Und nach Übermittlung des ausspionierten Anmeldenamens und Passworts schaltete er sich einfach ab.
    Jeder in der Szene kannte Marek Kowalski. Allerdings weder sein Gesicht noch seinen richtigen Namen. Sein Pseudonym lautete NOP , wie die Assembleranweisung für No Operation , die immer dann benutzt wurde, wenn der Prozessor zu schnell arbeitete und auf Daten warten sollte – im Prinzip wie Marek. Seine Bekanntheit reichte inzwischen so weit, dass ihm kaum noch Zeit blieb, nur zum Spaß ein wenig mit dem Code zu experimentieren. Mittlerweile hatte er einige Auftraggeber, die gerne auf seine Fähigkeiten zurückgriffen und ihn gut bezahlten. Seit Kurzem konnte er sich sogar die lukrativsten Aufträge herauspicken.
    Seine Auftraggeber jedoch kannte Marek Kowalski genauso wenig wie diese ihn. Die gesamte Abwicklung, von der Auftragsvergabe über die Lieferung bis hin zur Bezahlung, funktionierte anonym und immer auf die gleiche Weise. Unter der Internetadresse www.logbyte.ws existierte ein der Öffentlichkeit schwer zugängliches Forum. Dort wurden die Anfragen mit einem Link zu den Details eingestellt. Meist handelte es sich bei den Aufträgen um kleine, gemeine Anwendungen, die Zugangsdaten oder Transaktionsnummern abgriffen. Nach Fertigstellung seiner Arbeit verschickte Marek das lauffähige Programm an eine temporäre E-Mail-Adresse, die es schon nach wenigen Stunden nicht mehr gab. Seine Entlohnung erhielt er ein paar Tage später per Western Union. Den Betrag konnte er durch Nennung der Transaktionsnummer bei vielen Banken in bar abheben. Erst dann lieferte er den Quellcode nach. Es existierten keine Namen, keine Gesichter und keine Adressen. Das waren die einfachen Regeln. Und obwohl es ein Leichtes für Marek gewesen wäre, mehr in Erfahrung zu bringen, wagte er nie, an diesen Regeln zu rütteln. Bisher.
    ZORK , sein jüngster Auftrag, sollte lediglich ein kleineres Stück Software werden. Schneller Umsatz, der bereits für den neuen Audi TT Coupé verplant war, da sein rostiger Opel Kadett die nächsten Monate vermutlich nicht überleben würde. Doch ein brillanter Programmierer wie Marek Kowalski sah nicht nur seinen eigenen Code, sondern er hatte auch einen Blick für das große Ganze, für den Zusammenhang dahinter. Und statt wie in den anderen Jobs einfach zu programmieren, auszuliefern und das Geld einzustecken, schaute er dieses Mal genauer hin. ZORK , ein Wort, das unter seinesgleichen schlicht »Dingsda« bedeutete, war keine Einmann-Show. Bestimmt eine Handvoll Programmierer steuerten Codes dazu bei. Iceman, der Mann hinter ZORK , war auf etwas gestoßen, das der Lizenz zum Gelddrucken verdammt nahekam. So einfach und doch genial. Und warum sollte Marek sich mit lächerlichen zwanzigtausend Euro abfinden lassen, wenn sein Auftraggeber ein Vielfaches mit dem Programm scheffeln würde?
    Um den Standort von Icemans Computer zu ermitteln, benötigte er zehn Minuten und für eine gültige E-Mail-Adresse nochmals dreißig. Doch damit endeten auch schon seine Erkenntnisse. Der Rest seiner Nachforschungen verlief im Sande. Marek fand weder ein Bild von seinem Auftraggeber noch eine Identität bei einem sozialen Netzwerk. Gäbe es diese E-Mail-Adresse nicht, müsste er annehmen, dass er einem Phantom nachjagte.
    Dennoch setzte er sich in einem Kattowitzer Vorort in ein Internetcafé und schrieb dem namenlosen Phantom eine E-Mail: Der Preis für den fehlenden Quellcode habe sich auf eine Million Euro erhöht; als Gegenleistung würde er alles vergessen, was er über ZORK wusste. Schließlich fügte er noch
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