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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal
Autoren: Thilo Scheurer
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den Betreff an, mit dem Iceman bis zwanzig Uhr des folgenden Tages im Forum eine Antwort geben konnte.
    Am nächsten Abend saß Marek Kowalski schon eine gute Stunde vor der vereinbarten Zeit im »Cyber Kafejka«. Für die Kommunikation mit Iceman verwendete er nie zweimal den gleichen Standort. Dieses Internetcafé lag mitten in der Kattowitzer Innenstadt, im fünften Stock des eleganten »Skarbek«-Kaufhauses. Mit seinen braunen Teppichböden, den bequemen Sesseln und ausreichend großen Tischen erinnerte es mehr an eine Cocktailbar denn an ein Internetcafé. Den absoluten Höhepunkt bildeten die raumhohen Fensterscheiben. Sie ermöglichten eine sagenhafte Aussicht hinunter auf das geschäftige Treiben der Stadt und hielten gleichzeitig den Lärm draußen.
    Mareks Bildschirm zeigte die Webseite des Forums, er wartete auf Icemans Nachricht. Obwohl er den ganzen Tag über relativ entspannt dem Abend entgegengesehen hatte, schlug ihm jetzt sein Herz bis zum Hals. Er klopfte ein wildes Stakkato auf die Tischplatte. Wenn er nicht vor lauter Nervosität unter den Besuchern auffallen wollte, musste er schnell auf andere Gedanken kommen.
    Vor ihm lagen die schrägen Schieferdächer der Stadt, seiner Stadt, die sich in den letzten Jahren sehr zu ihrem Vorteil entwickelt hatte. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatten Bergwerke und Schwerindustrie die Gegend geprägt. Auch er kannte sie noch, die rauchenden Schlote am Horizont, die ihr Gift und ihren Ruß über den Häusern abluden und einem die Luft zum Atmen nahmen. Wie eine Art Mahnmal fristeten sie verlassen und verdreckt weiterhin ihr trauriges Dasein. Doch bis auf wenige Ausnahmen waren die Bergmänner und Industriearbeiter verschwunden.
    Anders als in vielen Gegenden Polens florierte jedoch in Kattowitz die Wirtschaft. Die Stadtväter hatten gleich nach dem Beitritt zur Europäischen Union gehandelt. Mit Steuererleichterungen und laxen Vorschriften zogen sie das Investmentkapital einiger ausländischer Firmen an. Und mit diesem Geld hatte sich Mareks Stadt binnen eines Jahrzehntes zu einer modernen Metropole gewandelt.
    Ein Schwarm schwarzer Rabenvögel zog an der riesigen Fensterfront vorbei, und Marek zuckte zusammen. Es blieb ein leises Unbehagen, als er sich wieder dem Computermonitor zuwandte. Immer noch keine Nachricht von Iceman. Marek sah auf seine Armbanduhr, rief ein paar Internetseiten auf und versuchte sich mit den neuesten Videos auf YouTube zur Ruhe zu zwingen. Dabei verfolgte er mit einem Auge die Beiträge im Forum. Dann, eine Viertelstunde vor acht, tauchte der von ihm gewählte Betreff unter den neu eingestellten Nachrichten auf. Sofort beschleunigte sich sein Herzschlag, und vor lauter Aufregung benötigte er zwei Doppelklicks, um den zugehörigen Text zu öffnen. Nervös kaute er auf den Fingernägeln, während er las, doch mit jeder Zeile ließ seine Anspannung nach. Ja – er hatte es geschafft: Iceman war einverstanden. Und Marek musste sich zusammenreißen, um nicht vor lauter Freude in Jubelschreie auszubrechen. Es dauerte eine Weile, bis er realisierte, dass doch noch etwas Unangenehmes vor ihm lag: Iceman bestand auf der persönlichen Übergabe des Geldes. Dies alleine wäre kein Grund gewesen, sich allzu große Sorgen zu machen. Doch der Übergabeort verursachte Marek Bauchschmerzen. Iceman wollte nicht mit einem Koffer voller Geld die polnische Grenze passieren. Deshalb schlug er vor, sich irgendwo im Südwesten Deutschlands mit ihm zu treffen.
    Marek fluchte innerlich. Seine Nachlässigkeit war schuld, dass er in der Zwickmühle saß. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, dass eine Million Euro nicht per Western Union angewiesen werden konnten, ohne dass dies spätestens bei der Auszahlung auffiel. Und ein Aufsplitten des Betrages in mehrere hundert Anweisungen kam nicht in Frage. Sonst würde es Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, bis er sein gesamtes Geld hatte. Sollte er nicht doch eine einfache Banküberweisung fordern? Nein, zu viele Spuren. Vielleicht auf ein Nummernkonto? Auch damit würde er seine Identität verraten. Verdammt, was brachte ihm jetzt die Fähigkeit, binnen Sekunden einen komplexen Programmcode zu analysieren, wenn sein Gehirn an solch banalen Problemen scheiterte? Nachdem er eine Weile mit sich gerungen hatte, beschloss er schweren Herzens, Icemans Vorschlag zu akzeptieren. Es gab keine andere Option.
    Zum Schutz würde er einfach seinen Vetter Adam mitnehmen. Im Gegensatz zu Mareks schlaksiger Statur war
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