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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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wohl, dass Matilda sich bis zum heutigen Tag für Sidneys Verletzungen verantwortlich fühlte, auch wenn sie dies nie geäußert hatte. Sie hatte Mary und ihre Kinder geliebt, geschützt und Sidney gepflegt. Es war eine Ironie des Schicksals, dass die Schießerei in Five Points keinen Aufschrei zur Folge hatte, sondern Matilda die Akzeptanz der Gesellschaft in San Francisco einbrachte und auch die Bewunderung, die sie schon vorher so sehr verdient hatte. Noch zu ihren Lebzeiten wurde sie zur Legende des Alten Westens, und wo früher gemeine Gerüchte über sie verbreitet worden waren, wurden schließlich ihr Mut, ihre guten Taten, ihre sprühende Persönlichkeit und ihre Schönheit gepriesen.
    Doch vor zehn Jahren, als Matilda vierundsechzig wurde, verkaufte sie London Lil’s schließlich. Seit diese wundersame Straßenbahn den California Street Hill hochfuhr, genau an ihrem Haus vorbei, wurde das Land auf dem Hügel plötzlich das begehrteste der ganzen Stadt. Millionäre fingen an, ihre Villen dort zu bauen, und bald schon wurde das Viertel in der Stadt als »Snobhügel« bezeichnet. Für Peter und Tabitha war es damals schwer nachvollziehbar, dass das London Lil’s, das so vielen Menschen eine Lebensgrundlage geboten hatte und ein so großer Teil von Matildas Leben und Charakter gewesen war, sie ausgerechnet durch seinen Abriss zur Millionärin machte.
    Doch als der Vergnügungspalast erst einmal verschwunden war, mitsamt all seinen Erinnerungen, gab es nicht mehr viel, was Matilda in der Stadt halten konnte. Sie blieb noch eine Weile, um ein Treuhandvermögen anzulegen, das die weitere Existenz des Wohnheims und der Häuser in der Folsom Street garantieren würde. Doch als Peter mit seiner Frau Lisette nach New York zog, entschied sie, ebenfalls an diesen Ort zu gehören.
    Tabitha lächelte Matilda liebevoll an und strich ihr die Tränen von den Wangen. So alt sie war, hatte sich doch das, was ihre Schönheit ausgemacht hatte, erhalten. Die blauen Augen blitzten immer noch wunderschön, sie hatte noch alle Zähne, und ihr Lächeln strahlte genauso herzlich wie in ihrer Jugend.
    »Nun, du alte Schwindlerin«, sagte Tabitha. »Ich kenne die wahren Gründe, warum du nach New York gekommen bist. Es ist nicht so, dass du keine Freunde mehr in San Francisco hattest, sondern du warst viel zu eitel. Niemand in der Stadt sollte bezeugen können, dass du alt wirst.«
    Matilda lächelte. Ein Körnchen Wahrheit steckte in Tabithas Worten. »Ich hätte nach England zurückkehren sollen«, erwiderte sie. »Ich glaube, genau das werde ich auch bald tun.«
    Tabitha schüttelte den Kopf und lächelte. »Du willst nicht wirklich zurückgehen. Du gehörst hierhin, wo du gebraucht wirst. Also, ich glaube, Alice ist fertig mit dem Abendessen. Ich sage ihr, dass wir es heute vor dem Kamin einnehmen werden. Dann kannst du ein schönes, heißes Bad nehmen, und später lese ich dir im Bett aus David Copperfield vor.«
    »Es ist sonderbar, wie schnell wir uns an Dinge gewöhnen«, meinte Matilda nachdenklich. »Wie etwa daran, einen Hahn aufzudrehen und das Wasser herausfließen zu sehen. Dann den Stopfen herauszuziehen und es wieder abfließen zu sehen. Damals in Primrose Hill musste ich so viele Wassereimer für dein Bad nach oben tragen! Ich dachte, daran würde sich auch nie etwas ändern. Heute habe ich mir die Brooklyn Bridge angesehen, und es hat mich einige Mühen gekostet, die Erinnerung daran heraufzubeschwören, wie der Fluss vor dem Bau der Brücke ausgesehen hat. Ich weiß nicht einmal mehr, wie man Öllampen reinigt und eine Toilette im Garten benutzt.«
    »Ich glaube nicht, dass ich mich überhaupt daran erinnern möchte«, Tabitha lachte. »Jedes Mal, wenn ich das elektrische Licht anschalte, denke ich immer noch, dass es ein wahres Wunder ist. Ich vermisse die alten Zeiten kein bisschen.«
    »Ich schon, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich so alt bin. ›Alte Leute werden wieder zu Kindern, wenn sie erst einmal die siebzig überschritten haben‹, hat Sebastian immer gesagt«, entgegnete Matilda.
    »Du wirst niemals richtig alt sein.« Tabitha strich ihr liebevoll über die Wange. »Also, ich werde jetzt nach dem Abendessen sehen.«
    Tabitha spitzte die Ohren, als sie das Badewasser später ablaufen hörte. Matilda liebte Bäder und blieb gewöhnlich für Stunden genüsslich in der Wanne liegen. Auch schöne Kleider und feine Unterwäsche wusste sie immer noch zu schätzen. Keiner von Tabithas
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