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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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ihrer Zeit war der Central Park sumpfiges Ödland gewesen, und die ärmsten der irischen Arbeiter, die das Croton Aqueduct gebaut hatten – dieses Wunder, das geklärtes Wasser in die Stadt brachte –, hatten dort in elenden Hütten mit ihren Schweinen und Ziegen gehaust. Sie fand den Park wundervoll und war froh, dass die Städter etwas wirklich Schönes hatten, wohin sie flüchten konnten, aber die neue Brooklyn Bridge fand sie noch herrlicher. Während der Park ein reines Wunder der Natur war, war die Brücke von Menschen geschaffen worden. Bauplanung und Kunst hatten Hand in Hand gearbeitet, um etwas wirklich Wunderschönes, zerbrechlich Scheinendes entstehen zu lassen. Dennoch widerstand die Brücke den Elementen und dem starken Verkehr. Sie war nicht traurig, dass die Stadt nicht mehr derjenigen ähnelte, in der sie vor über einem halben Jahrhundert angekommen war. Schließlich war auch sie nicht mehr das aufgeregte, neugierige Mädchen, das sich in den ehrlichen, aufdringlichen und dreisten Überfluss der Stadt verliebt hatte.
    Sie schaute zur Steuerkabine hinüber, als sie schallendes Gelächter von dort vernahm. Es freute sie, den Bootsbesitzer so fröhlich mit seiner Tochter arbeiten zu sehen. Vielleicht lachten die beiden über sie, aber selbst der Gedanke störte sie nicht.
    Sie hatte dieses spezielle Boot aus reiner Sentimentalität für ihre Reise gewählt. Wie ihr eigener Vater, der Fährmann auf der Themse gewesen war, war auch Giuseppe Witwer und arbeitete mit seiner Tochter zusammen. Als sie die freundlichen, offenen Gesichter der beiden gesehen hatte, hatte sie die Summe des Geldes, das sie ursprünglich hatte zahlen wollen, verdoppelt. Das Geld würde ihnen eine zusätzliche Mahlzeit bescheren, und vielleicht konnte sich das Mädchen ein neues Kleid kaufen. Sie konnte sich nur zu gut erinnern, wie sehr sich junge Mädchen nach etwas Luxus sehnten.
    Als sie in die Stadt gekommen war, hatte es hier noch nicht so viele Italiener gegeben. Die meisten Immigranten waren Engländer, Iren und Deutsche gewesen. Nach achtzehnhundertfünfundvierzig allerdings waren Italiener, Polen, Russen, Juden und Angehörige vieler anderer Nationalitäten zu tausenden in die Stadt geströmt. Jede Nationalität hatte ihre eigene Besonderheit beigesteuert und den Charakter der überfüllten Stadt geprägt.
    Allerdings sprach Giuseppe nicht mit italienischem Akzent, er musste also hier geboren sein, und vielleicht war seine Mutter Holländerin oder Deutsche. Dies würde seine blauen Augen und sein helles Haar erklären. Seine Tochter, er sagte, sie heiße Fanny, erinnerte sie an sie selbst als Siebzehnjährige: volles blondes Haar, Augen so blau wie Vergissmeinnicht und ein ähnlich standhafter Blick, der dem Gegenüber jeglichen Unfug austrieb. Es war ein wenig seltsam, dass sie Männerkleidung trug, aber sie vermutete, ein langer Rock sei auf einem Boot wohl eher unpraktisch. Außerdem hatte sie selbst früher hin und wieder Männerhosen getragen. Im Jahre achtzehnhundertneunundvierzig war es in einer Stadt im Westen, wo trunksüchtige Goldsucher ihr Glück suchten, wenig ratsam gewesen, besonders weiblich auszusehen.
    Als das Boot sich der Staten Island Ferry näherte, begann ihr Herz schneller zu schlagen, denn unmittelbar dahinter lag die State Street, wo sie gewohnt hatte, nachdem sie hierher gekommen war. Traurigerweise hatten die schiefen kleinen Holzbauten und einige Häuser der Gründerzeit den neuen Kaufhäusern und Büros weichen müssen. Nur wenige Menschen lebten heute noch in diesem Viertel, die meisten waren weiter ins Innere der Stadt gezogen. Die Wall Street war jetzt eine Straße der Banken und Finanzinstitutionen. Die Trinity Church, an die sie so viele Erinnerungen hatte, lag mittendrin und war eines der wenigen übrig gebliebenen alten Gebäude. Sie fand es schade, dass der elegante Turm der Kirche bald von den riesigen Gebäuden überragt werden würde, welche die New Yorker offenbar so liebten. Aber Amerikaner schienen grundsätzlich nicht sentimental mit historischen Plätzen verbunden zu sein.
    Castle Clinton sah jedoch immer noch ziemlich wie früher aus, obwohl es zu ihrer Zeit eine Insel gewesen war, die vom Land aus über eine Brücke zu erreichen gewesen war. Man hatte schon vor Jahren der See einiges an Land abgerungen, indem man sie tonnenweise mit Schutt und Geröll angefüllt und anschließend begrünt hatte. So war damals der Battery Park entstanden. Zwischenzeitlich war Castle Clinton
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