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Lesereise Paris

Lesereise Paris

Titel: Lesereise Paris
Autoren: Rudolph Chimelli
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da die dreißig Ruhmreichen 1974 mit dem ersten Erdölschock zu Ende gingen, nahm Brigitte Bardot Abschied vom Film. Ein ursächlicher Zusammenhang bestand nicht, aber als Symbol einer Epoche hat man ein Flair dafür, wenn sie vorüber ist. In ihren Memoiren beschreibt sie diese Zeit, obwohl sie das Kino – »all diesen Zirkus«, wie sie jetzt sagt – eigentlich nie mochte. Sie ist seit fünfundzwanzig Jahren kein einziges Mal mehr im Kino gewesen, und mit dem Videorekorder mag sie nicht umgehen. Ihre Erinnerungen hat sie ganz allein zu Papier gebracht, tausendfünfhundert Seiten in großer runder Handschrift, fast ohne Verbesserungen. Einen nègre , wie es auf Französisch heißt, einen professionellen Formulierungshelfer, brauchte B. B. nicht. Sie schrieb einundzwanzig Jahre an ihrem Werk, natürlich mit Pausen, die manchmal drei, manchmal fünf Jahre dauerten. Meistens arbeitete sie bei Nacht, um Ruhe zu haben. Wenn das Gedächtnis für Einzelheiten sie im Stich ließ, brachte sie gern das Ambiente von ehedem mit den Gerüchen, den Düften zurück, die damals um sie wehten.
    Da sitzt Brigitte auf dem Sofa, adrett, fröhlich, schlagfertig, auf dem Haupt die berühmte Sauerkrautfrisur, inzwischen grau meliert, und mit lächelnden Augen. Ihre Haut ist einen Sommer zu viel in der Sonne gewesen, aber sonst ist ihr das Altern nicht schlecht bekommen. Von Lifting oder ähnlichen Mätzchen hält sie nichts. Sie hat sich soeben im engen Trikot und in der gleichen Pose fotografieren lassen wie zur Zeit ihrer Glorie: Die Silhouette ist unverändert. Und man sitzt neben ihr mit der leicht wehmütigen Freude an einer Situation, die mancher Mann sich früher gewünscht hätte. »Mein kleines Stachelschweinchen«, sagt B. B. Es sind die drei einzigen Wörter Deutsch, die sie in ihren Jahren mit Gunther Sachs gelernt hat. Für mich sind sie nicht bestimmt, so wie sie damals nicht für ihn bestimmt waren. Auch er hat Brigitte nicht so genannt. Irgendjemand brachte ihr die Wendung bei, um Sachs zu ärgern. Einmal fällt ihr Blick auf meine Krawatte, die Jagdhunde in heraldisch stilisierten Formen zeigt. Und für einen Augenblick ergreift Brigitte Bardot meine Hand. Denn schon lange interessieren Tiere sie mehr als Menschen.
    »Wie sah mein Leben denn aus? Eine einzige Abfolge von Skandalen, Liebhabern und Filmen«, steht auf Seite 452 der deutschen Ausgabe der Memoiren. Wer mit diesem Fazit zufrieden ist, braucht weder davor noch danach zu lesen. Das Buch besteht, immer streng chronologisch, in der Darstellung des unmittelbaren, persönlichen Gesichtskreises: die Geburtsanzeige, die ihre Eltern verschickten, die Familie, Kindermädchen, Dienstboten, Kleinmädchenkummer über Kaninchenragout oder Hammelhirn, Sorgen mit der Schule und erste Balletterfolge, Selbstmordversuche, theatralische wie echte, bekannte und unbekannte Stationen der Karriere. Dazwischen bekennt B. B., wie sie wirklich ist, wie sie sein möchte oder wie sie gesehen werden will: »In meinem tiefsten Inneren war ich wild, zerbrechlich, schüchtern, äußerst sensibel, treu oder wenigstens bestrebt, es zu sein, doch vor allem verletzlich.« »Dabei«, sagt sie, »bin ich nie Schauspielerin gewesen. Entweder war mir der Text gleichgültig, und ich spulte ihn einfach ab, wie’s gerade kam, oder ich ging vollkommen auf in dem, was ich spielte, wagte mich sogar bis an die Grenze der Selbstzerstörung, immer in dem Glauben, es gehe ums Ganze. Ich bin nie in die Haut einer Person geschlüpft, sondern habe die Filmfiguren immer in mich hineinversetzt. Das ist ein großer, bedeutender Unterschied!« Von Natur aus sei sie schamhaft. »Wenn ich meinen Körper in Filmen entblößte, so war es stets durch die Handlung gerechtfertigt. Ich zeigte mit meinem Körper nur eine schöne Hülle, warum nicht?«
    B. B. mag keine Massen, keine Journalisten (»nichtsnutzige Schmierfinken«, »die Hunnen des zwanzigsten Jahrhunderts«, »die Geißel Gottes«), nicht Alain Delon, nicht Catherine Deneuve oder Jeanne Moreau, mit der zusammen sie in Mexiko »Viva Maria« drehte. Jean-Luc Godard gehört für sie zur »Sorte schmutziger Intellektueller, die mit der Linken liebäugeln«. Die politische Klasse Frankreichs macht sie dafür verantwortlich, dass das Land erstickt. Auf ihrer Negativliste stehen – neben vielem anderen – afrikanische Kunst, ägyptische Kunst, die Jagd, der Krieg, Tod überhaupt, Mutterschaft (die eigene), Disziplin, englische Sprache, Städte, Hochhäuser, Beton,
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