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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel
Autoren: Gil Yaron
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eineinhalb Millionen arabischen Staatsbürger Israels haben ein Identitätsproblem. Juden betrachten sie als fünfte Kolonne in ihrem Staat, Palästinenser sehen sie als Kollaborateure. Sie sind beiden Seiten fremd. Nasrallah hingegen bereitet seine Identität keine Kopfschmerzen: »Ich will nur unter israelischer Herrschaft leben. Ich war schon oft in Jordanien, Ägypten und dem Westjordanland zu Besuch, aber dort würde ich nie wohnen wollen.« Für ihn ist klar, er gehört nach Israel: »Wenn die Juden aus dem Nahen Osten vertrieben würden, säße ich bei El Al in der ersten Reihe und flöge mit.«
    An diesem kühlen Abend schaut Eliyahu Bar Abi vorbei. Seine Freunde nennen den schmächtigen Studenten mit dem kleinen Ziegenbart und der lässig schräg am Hinterkopf befestigten Kopfbedeckung »Barbie«. Seiner Meinung nach gehört den Juden das ganze Land, doch weiß er auch um den schweren Preis, den Israel für die Besatzung zahlt. »Manche von meinen Freunden sind in Gaza in ihren Panzern in die Luft gejagt worden«, sagt Barbie und kommt zu dem Schluss: »Dieses Land ist uns zwar von Gott versprochen worden, aber es ist nicht wert, darüber so viel Blut zu vergießen.«
    Barbie und Nasrallah sind fest von ihren Ideologien überzeugt, trotzdem stellen sie ihre Freundschaft über alles. Als Barbie im Januar 2009 für den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen eingezogen wurde, hielt Nasrallah den Kontakt aufrecht: »Muhammad hat während des Krieges mehrmals voller Sorge bei mir angerufen, um mich zu fragen, wie es mir geht«, sagt Barbie. Selbst mehr als tausend getötete Palästinenser dämpften Nasrallahs Sorge um seinen jüdischen Freund nicht.
    Nasrallahs beste Freunde wohnen in der nahen Siedlung Netafim. Einmal in der Woche fährt er sie besuchen und grillt mit Ofir und Shirley Amber, nachdem ihr Sohn Lior in seinem Gitterbettchen eingeschlafen ist. Der bewaffnete Wächter am Eingang der Siedlung kennt Muhammad bereits und winkt den Araber durch die Straßensperre an der Einfahrt, die Palästinenser nachts von der Siedlung fernhalten soll.
    »Ich bin hierher gezogen, weil es eine religiöse jüdische Gemeinschaft ist«, sagt der siebenundzwanzig Jahre alte Ofir, der Kriminologie studiert. Er sieht aus wie ein entspannter Hippie, doch der Anblick trügt: Unter den friedlich vom Kopf baumelnden Rastalocken versteckt sich ein Elitesoldat der israelischen Armee, dem Gewalt in seiner militärischen Laufbahn nicht unbekannt war. »Die Araber in unserer Umgebung verhalten sich ruhig, weil sie wissen, dass sie sonst einen hohen Preis zahlen, und weil es sich für sie lohnt«, sagt er in einem ruhigen Tonfall, als bespräche er das Wetter von gestern. Angst kennt der überzeugte Siedler nicht: Seine Einkäufe macht er in einem billigen Tante-Emma-Laden im arabischen Dorf Bidia nebenan. Doch er sucht keinen Streit: »Der arabische Ladenbesitzer hat mich zur Hochzeit seiner Tochter eingeladen, aber ich werde nicht hingehen, damit es nicht unnötig Ärger mit den anderen Gästen gibt.«
    Im Umgang miteinander versuchen Muhammad und Ofir Konflikte zu umschiffen: »Wenn wir unter uns sind, bleibt Politik außen vor«, sagt Muhammad und legt noch ein paar koschere Steaks, die er für heute Abend besorgt hat, aufs Feuer. »Jede Seite ist davon überzeugt, dass nur sie recht hat«, pflichtet Ofir ihm bei. Doch manchmal kommt es zum politischen Gespräch.
    Viele säkulare Israelis zogen wegen der billigen Wohnmöglichkeiten ins Westjordanland, Ofir hingegen ist ein überzeugter Siedler. Der religiöse Jude kam aus ideologischen Gründen her: Judäa ist seiner Meinung nach die historische Wiege seines Volkes. Billiges Wohnen gehört in Netafim ohnehin längst der Vergangenheit an. Dank einer vierspurigen Autobahn dauert die Fahrt von der Siedlung im Grünen in die Innenstadt Tel Avivs knapp dreißig Minuten. Die Miete für die Drei-Zimmer-Wohnung liegt deswegen bei rund fünfhundert Euro im Monat. »Es wird mir sehr schwerfallen, dieses Haus zu verlassen, falls Israel das Westjordanland räumen sollte«, sagt Ofir und lässt seinen Blick über die Terrasse schweifen, die Ausblick auf das baumbestandene Wadi bietet. »Macht nichts. Wenn sie dich hier rausschmeißen, nehme ich deine Villa«, scherzt Muhammad. »Dann kann ich ja auch dein Haus haben, nachdem sie dich ausgebürgert haben«, kontert Ofir, und beide lachen unbeschwert.
    Der Weg zum Haus der Ambers ist nicht ungefährlich. Einmal wurde Muhammads Auto von
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