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Lesereise Friaul und Triest

Lesereise Friaul und Triest

Titel: Lesereise Friaul und Triest
Autoren: Susanne Schaber
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Blick nach unten: Weit unten, in einer Schlucht, fließt der Lumiei, ein Wildbach. Ansonsten ist nichts zu sehen als steile, dicht bewaldete Hänge. Die Fahrt dauert endlos. Am Lago di Sauris, einem Stausee, öffnet sich die Landschaft, kurz darauf erreicht man Sauris di Sotto, ein paar Minuten später das Oberdorf, Sauris di Sopra. Beide Dörfer haben sich ihre Eigenart bewahrt. Früher hatte man kein Geld für ständige Neu- und Umbauten, heute ist man stolz auf die gewachsene Architektur. Die Häuser haben Fundamente und Mauern aus Stein, Balkone und Stiegen aus Holz, Dächer mit Schindeln oder aus Blech. Auf den Gestängen unter dem Vordach hängen Mais und Zwiebeln, in den Vorratskammern lagern Kartoffeln, Polenta und Gerste, dazu Rüben und Kohl. Hier oben wächst nicht mehr viel. Viehwirtschaft ist wichtig, man hält Hühner, Rinder und Schweine. Aus Tirol und Kärnten hat man die Tradition weitergeführt, Schweinefleisch über einem Feuer aus Buchenholz und Wacholder zu räuchern. Prosciutto und Speck aus Sauris sind in ganz Italien berühmt, zusammen mit dem Schinken aus dem berühmten San Daniele.
    Viel davon landet auch in den heimischen Pfannen. Küchen sind in diesem Landstrich immer noch archaisch anmutende Plätze. Kaum ein Haus ohne fogolar , einem gemauerten Herd mit einer offenen Feuerstelle. Hier wird gekocht, hier versammelt man sich an kalten Tagen zum Essen und Erzählen. Die karnisch-friulanische Küche macht warm und satt. Frico zum Beispiel, eines der Nationalgerichte: geschmolzener Käse, mit Speck, Zwiebeln und Kartoffeln angerichtet. Oder jota , eine Suppe aus Maismehl, Speck, Zwiebeln und Kräutern, gekocht mit Bohnen oder Sauerkraut, manchmal auch Schweinsrippen. Wer keinen Reis hat, weicht auf orzotto aus, der aus Gerste gemacht ist und mit Pilzen und Kräutern serviert wird. Berühmt auch die cialzons , Teigtaschen ähnlich den Südtiroler Schlutzkrapfen, gefüllt mit Kartoffeln, Minze und Basilikum oder auch mit Kürbis, Früchten und Nüssen. Was man vor der Tür produziert und erntet, kommt ohne Umwege auf den Tisch.
    Das Erntedankfest nimmt man beim Namen. Die Leute von Sauris waren immer schon gottesfürchtig. Kein Weiler ohne eigene Kapelle, eine Kirche in jedem der beiden Dörfer. In Sauris di Sopra die Pfarrkirche San Lorenzo mit ihrem spätgotischen Flügelaltar von Michael Parth, in Sauris di Sotto die Wallfahrtskirche Sant’Osvaldo. Die Verehrung des Heiligen Oswald, Schutzpatron gegen Pest und Epidemien, haben die ersten Siedler aus Tirol mitgebracht, wie allerdings ausgerechnet dessen Daumen in die karnischen Berge gekommen ist, liegt im Dunkeln. Sei’s drum. Hier ist er nun, und hier wird er seit vielen Jahrhunderten als Reliquie angebetet. Pilger aus dem ganzen Friaul und vor allem auch aus Venedig sind früher die Steige bis nach Sauris heraufgestiegen, um dem Osvaldo zu huldigen und ihre Präsente zu hinterlassen. Auf diese Weise kam die arme Zahre zu einer eindrücklichen kleinen Kunstsammlung, die im Pfarrhaus zu besichtigen ist.
    Den Segen von oben, den konnten die Leute von Sauris immer gut brauchen. Die Winter waren lang, die Ängste vor den Schemen der Dunkelheit groß. Die Umarmung der Kirche schien kräftig, der Glaube recht fest verankert. Und doch: Wer den Wind über die Hochebene jagen und darin fremde Stimmen zu hören meinte, wer im Schnee zu ersticken fürchtete und im Feuerschein die Figuren seiner Albträume ortete, der rettete sich nicht nur zu Gott. Des Winters hingen die Toten im Dachboden, weil der Friedhof unter einer Eisdecke verschwunden war. Die Tür zum Jenseits war verschlossen, nun irrten die armen Seelen in Sauris herum. Wie sollte man da noch gut schlafen.
    Der Aberglaube war Zuflucht und Mittel, die Mächte des Bösen zu bannen und die guten Geister zu beschwören. Archaische Kulte leben bis heute weiter, auch wenn die Ängste inzwischen ganz andere geworden sind. Alte Riten gehören zum Jahreskreis. Wenn die Winternächte kalt und duster sind, läuft man mit einem Stern übers Feld, das Helle zu verkünden. Fasnachtsnarren ziehen lärmend durchs Dorf, die Gesichter geschwärzt oder hinter Holzlarven versteckt, um dem kheirar zu folgen. Er hat einen Besen bei sich, um den Dämonen des Winters den Garaus zu machen und dem Frühling einen sauberen Boden zu bereiten. Und wer sich zum ersten Mal über die Grenzen von Sauris hinauswagt, der muss sich wappnen, der muss zeigen, wie tapfer er ist. Der muss der belin den Hintern küssen. Kein
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