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Lesereise Friaul und Triest

Lesereise Friaul und Triest

Titel: Lesereise Friaul und Triest
Autoren: Susanne Schaber
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Polentarutti steht auf den Grabsteinen, so die Namen der Familien. Ihre Stammbäume sind stark verästelt. Es ist eng hier oben, man rückt zusammen. Geheiratet wurde untereinander, wieder und wieder.
    Zwei deutsche Soldaten hätten sich als Erste in Sauris niedergelassen, erzählt die Legende. Sie seien des Krieges müde gewesen und hätten ein Versteck gesucht, an dem sie niemand verfolgen und verurteilen würde. Erst im tiefsten Karnien fühlten sie sich sicher. Sie ließen sich hier nieder und lebten fortan rechtschaffen und in Frieden.
    Eine schöne Geschichte. Die Historiker wissen es besser. Sauris wurde um 1250 besiedelt. Damals entschieden die Grafen von Görz, die Bergregionen Karniens urbar zu machen. Sie wollten die Grenzen sichern, hofften auf einen Aufschwung des Bergbaus und die dauerhafte Bewirtschaftung des Landes. Und so wurden Bauern und Knappen aus dem Osttiroler Pustertal ins Karnische verschickt, in eine abgelegene, wilde Gegend. Auf den Almwiesen, die sie den Wäldern abgerungen hatten, entstanden zwei Dörfer: Sauris di Sotto und Sauris di Sopra, die untere und die obere Zahre. Der Kontakt zu den Verwandten brach schnell ab: Die Übergänge und Pässe waren hoch, die Wege in die frühere Heimat strapaziös. Auch der Süden mit den Orten am Tagliamento schien ein ganzes Stück entfernt. Und so blieben die Bewohner von Sauris für sich. Niemand zog zu, niemand zog weg. Die Familien wuchsen. Was musste man wissen von der Welt? Eigentlich nicht viel, denn die lag ohnehin weiter hinter den sieben Bergen, hinter dem Vesperkofel und der Morgenleite.
    Mitten in den Karnischen Alpen entstand ein abgeschlossenes kleines Siedlungsgebiet. Man wusste wohl, dass dort oben in den Bergen Menschen wohnten, doch zu Gesicht bekam man sie selten. Einsiedler, Käuze, mit denen sei schwer reden, hieß es unten im Tal. Und das stimmte wohl auch. In Sauris hat ein uralter Osttiroler Dialekt überlebt, der durchzogen ist von Ausdrücken aus dem Romanischen: »de zahrar sproche«, wie sie heißt. »Bienvenuti a Sauris-Zahre«, so die Begrüßung am Ortsrand, daneben der Zusatz: »der tuena griessn«, wir grüßen dich. Italienisch ist die Schriftsprache, Furlan die Umgangssprache und ein merkwürdiges Mittelhochdeutsch die Sprache der Familien. Sauris gilt als viel bestaunte Sprachinsel, ähnlich wie das nahe gelegene Timau oder Tischelwang.
    Karnien war immer schon zerrissen zwischen den Ambitionen verschiedenster Interessen. Besiedelt von den Kelten, wurde Carnia, wie es die Römer nannten, eine der vielen Stationen auf dem Weg von Norden nach Süden. Die Via Iulia Augusta führte von Aquileia über den Plöckenpass ins Drautal. In Zuglio, wo sie auf eine keltische Siedlung traf, richtete man um 50 vor Christus das Forum Iulium Carnicum ein. Eine Kolonie entstand, die von Tarvis nach Spilimbergo und hinein bis ins Cadore reichte. Auf einem Hügel oberhalb von Zuglio steht bis heute die älteste noch erhaltene Kirche Karniens, die Pieve San Pietro di Carnia, die auf den Resten einer frühchristianischen Kirche ruht. Diese soll aus dem späten 5. Jahrhundert stammen. Den Römern folgten die Slawen, die Karolinger und dann wieder die Herzöge von Karantanien, dem späteren Kärnten, schließlich die Habsburger und Italiener. Tarvis und das Kanaltal mit seinen vielen deutschsprachigen Orten wurde erst 1919, als letzte Region des Friaul, dem Staat Italien zugeschlagen.
    Über Jahrhunderte hinweg prallten in Karnien verschiedenste Kulturen aufeinander, die tirolerisch-kärntnerische, die deutsche, die romanische und die slawische. Man arrangierte sich – oder grenzte sich ab. Es gab Handel, etwas Bergbau, viel Holz- und Landwirtschaft. In den Seitentälern jenseits der Hauptrouten lebte man von dem, was der Boden hergab. Wer damit nicht durchkam, verdingte sich als Saisonier, als Maurer oder Holzarbeiter. Die Armut trieb viele in die Emigration, zuerst in die Länder der ehemaligen k. u. k. Monarchie, später nach Deutschland, Frankreich und Belgien, in die USA und nach Australien. Für jene, die geblieben sind, ist das Tagwerk immer noch hart. Der Tourismus hat einigen Orten zu Wohlstand verholfen. Doch am Leben mit und in der Natur hat sich in vielen Dörfern nur wenig verändert.
    Die Straße, die sich von Ampezzo nach Sauris hinaufwindet, ist schmal. Eine Vielzahl von Kurven macht die knapp fünfzehn Kilometer lange Strecke beschwerlich. Enge Tunnel, aus dem Fels herausgeschlagen, mahnen ebenso zur Vorsicht wie der
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