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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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Anfang an, um sich über vergleichbare Barockorgeln in Stellwagens Denkweise hineinversetzen zu können. Historische Quellen äußern sich kaum dazu. Und so fehlten wichtige Informationen zum Beispiel über die Konstruktion oder auch Größe der Bälge in Stralsund. Zwar hatten die Orgelbauer herausbekommen, dass es zwölf Stück aus guter deutscher Eiche gewesen waren. Aber wie sah es um ihre Proportionen aus? Ein anderes Problem: Früher wurde mit Fuß und Zoll gemessen. Umgerechnet ergibt das aber nicht dasselbe wie Meter und Zentimeter und ist mit einem völlig anderen räumlichen Empfinden verknüpft. Die Liste offener Fragen war ellenlang und sobald eine Antwort in den ungezählten Gesprächen mit Orgelbauern in Lübeck oder Schwerin oder Hamburg herausgekommen war, stand schon eine neue Frage auf dem Plan. Eine der entscheidenden: die »Stimmungsart«.
    Ab Frühjahr 2005 kehrten die ersten restaurierten Orgelteile nach St. Marien zurück. Und um auch die Stralsunder an diesem Erlebnis teilhaben zu lassen, kam man auf eine lustige Idee: Aus dem Bauregister der Orgel hatten die Restaurateure entnommen, dass Friedrich Stellwagens Blasebälge 1655 aus seiner Werkstatt in der Nähe des Lübecker Doms per Schiff angeliefert worden waren. Soldaten schleppten die Ungetüme, als das Schiff in Stralsund vor Anker gegangen war, durch die Stadt bis zum Neuen Markt. »Das stellen wir nach«, hieß es einstimmig von der Orgelkommission, »und zwar mit einem historischen Lastensegler!« Aus der Marineschule heuerten sie Offiziersanwärter an. Und da nur ein Balg stellvertretend für alle zu tragen war, das Ganze also nicht in Schwerstarbeit ausartete, brachte das Spektakel doppelt Spaß. Mit Pauken und Trompeten zogen »die Soldaten« bei strahlender Sonne wie damals durch die Stadt zum Markt, mit von der Partie die Orgelkommission in barocken Kostümen, Hunderte von Kindern jubelten am Straßenrand – sie hatten schulfrei bekommen.
    Im Herbst 2007 fiel das Orgelgerüst, das war der nächste große Höhepunkt. Nun begann die Suche nach dem Klang, eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Nach monatelangem Tasten und Probieren und immer neuem Hineinfühlen in die Klangwelt des Barock, entschied sich die Gemeinde von St. Marien, die Orgel »mitteltönig« zu stimmen – also in jenem stilreinen Klang, wie er seinerzeit auch Karl Schuke und Dietrich W. Prost vorgeschwebt war.
    Am 28. September 2008 eröffnete Martin Rost die »Friedrich-Stellwagen-Orgeltage« in St. Marien mit der komplett restaurierten Orgel unter dem Motto »Krönung einer Königin«. Die alte Dame trug ein Gewand, das sich niemand, der sie vorher kannte, je hätte träumen lassen: die Engel schlohweiß, ihre Flügel in glänzendem Gold, die silbernen Orgelpfeifen edel und stolz und Sonne, Mond und Sterne leuchteten – der ganze Orgelprospekt strahlte wie ein opulent bestickter Brokat.
    Meisterkurse werden inzwischen in St. Marien durchgeführt, und Organisten von nah und fern haben den weltweit einzigartigen Klang der neuen alten Stellwagen-Orgel »gekostet« und ausprobiert. Die alte Musik aus dem »Goldenen Zeitalter« norddeutscher Orgelkunst von Heinrich Scheidemann, Franz Tunder und Dietrich Buxtehude, die in die Backsteinkirchen wie der Ostseewind zu den Ostseewellen gehört, klingt mit den neuen Orgelpfeifen »schlank« und »frisch«, überrascht es immer wieder den Kantor Martin Rost. Und bei Gottesdiensten wird neuerdings engagierter mitgesungen. »Das kommt von den reinen Akkorden!«
    Die Krönung der Königin machte Stralsund zum Baltischen Orgelzentrum. Und um die vielen vergessenen oder wenig beachteten Klangschätze mit eigenen Augen und Ohren wahrzunehmen, werden Orgelreisen gemacht – in Dörfer und in die Backsteinstädte entlang der Ostsee bis nach Stettin und Danzig.
    Manchmal, noch spät in der Nacht, zwitschern auf dem Kirchhof von St. Marien helle bunte Vogelstimmen. Der Kantor sitzt dann an seiner Orgel und improvisiert.

Fragmente einer Romanfigur
Café Koeppen in Greifswald
    Von hier also ist er. Aus diesem Haus in der Bahnhofstraße 4. Seine Mutter war Weißnäherin, stickte Monogramme in Tischtücher und Servietten, flickte das Bettzeug Pommerscher Rittergüter. Maria Köppen bekam dafür einen anerkennenden bescheidenen Tageslohn. Er musste für sie und ihren kleinen Sohn reichen. Wolfgang Arthur Reinhold saß oft unter ihrer Nähmaschine, beobachtete, wie die Füße seiner Mutter das Tretwerk bedienten, während die weißen
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