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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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die Wolgaster Kunsthistorikerin Barbara Roggow erzählt. Zweites Problem: Auch Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände gab es nicht. Für das geplante Rungehaus in der Kronwiekstraße am Wolgaster Hafen reiste Barbara Roggow darum nach Kassel, um sich im Brüder-Grimm-Museum und dem Tapetenmuseum nach Anregungen umzuschauen. Eine weitere Reise führte sie ins Goethehaus nach Weimar. Immerhin verband Runge mit dem Geheimrat am Frauenplan seinerzeit eine intensive Korrespondenz, obwohl die erste Kontaktaufnahme eher brüsk abgelaufen war: 1801 hatte Philipp Otto Runge nach seiner Kopenhagener Kunstausbildung an einer Preisaufgabe des Weimarer Künstlerkreises teilgenommen. Das Thema lautete, eine Szene aus Homers Epos »Ilias« zeichnerisch darzustellen. Runges Idee fiel im heiligen Gremium durch, wurde mit dem Kommentar »unrichtig und maniriert« abgelehnt. Der Einreicher solle sich gründlicher mit der Antike befassen. Diese Belehrung missfiel dem Vierundzwanzigjährigen. »Wir sind keine Griechen mehr! Wir können das alles schon nicht mehr so fühlen!« Runge verfolgte andere Ziele, als die alten Meister zu kopieren, arbeitete an seinem großen Tageszeiten-Zyklus. Davon hatte Goethe Kenntnis genommen und urteilte »zum Rasendwerden schön und toll zugleich«. Sein Interesse an dem jungen Künstler war entflammt. Und als er 1806 dessen Farbenlehre in den Händen hielt, schrieb er an Philipp Otto Runge, wie angenehm es ihn dünke, »unter den Gleichzeitigen Gleichgesinnte nennen« zu können. Für 1808 war in Weimar ein Treffen der beiden Farbenlehrer angedacht, wozu es aber nicht kam, da Philipp Otto Runge abermals schwer erkrankt war.
    Als Barbara Roggow Weimar besuchte, fiel ihre Entscheidung zur Gestaltung des Rungehauses in Goethes Gartenhaus. 1886 hatte man es als Gedenkstätte eingerichtet. Nicht ein einziges Stück allerdings stammte aus Goethes Inventar. »Dem Publikum wurden also jahrzehntelang falsche Tatsachen vorgegaukelt! Absolut unmöglich für das Rungehaus!« Konsequenz für Wolgast: Das Rungehaus blieb leer. Fast jedenfalls. Zitate von Philipp Otto Runge statt langatmiger Texttafeln lassen beim Begehen der Räume, in denen früher Küche, Wohn- und Esszimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer waren, Ausschnitte aus Runges Leben sichtbar werden. Zum Beispiel von seinem Wolgaster Aufenthalt 1806, der zunächst nur für ein paar Wochen vorgesehen gewesen war, am Ende aber über ein Jahr andauerte. Mit seiner Frau Pauline und seinem erstgeborenen Sohn, Stammhalter Otto Sigismund, hatte er bei seinem Bruder Jacob in der Burgstraße gewohnt. Runges Eltern gingen damals bereits auf die siebzig zu. Ein Ölgemälde, das die beiden eingehakt zeigt, im Hintergrund Vaters Werft und Holzhof, hatte Philipp Otto seinen Geschwistern und sich »zum Andenken« damals gemalt. Wie alle anderen präsentierten Gemälde ist auch dieses lediglich eine Reproduktion, »bewusst ohne Rahmen hinter Glas, zehn Zentimeter von der Wand entfernt in speziellen Halterungen«, erklärt Barbara Roggow, »damit das für jeden sofort erkennbar ist«. Als einzige Reproduktion nicht in der Originalgröße hat die Rungeliebhaberin die »Heimkehr der Söhne« für das Geburtshaus ausgesucht. Sechsundvierzig mal sechzig Zentimeter misst das Format, wie es Philipp Otto Runge mit Feder und Pinsel in Grau und Schwarz ausgeführt hat. »Er hatte aber vor, es in Öl zu malen, zwei mal drei Meter groß, als Wandbild für das Kaminzimmer in Jacobs Haus!« Vor der Kulisse der Runge’schen Gartenlaube, deren Fenster weit offen stehen, ist die ganze Familie abgebildet, freudig gestimmt, festlich gekleidet, weil Philipp Otto und Daniel nach Wolgast zurückgekehrt waren. »Mich hat immer gepiekt«, sagt Barbara Roggow, »dass dieses Vorhaben nie angemessen gewürdigt wurde.« Im Rungehaus wird das nun nachgeholt, indem das Original auf eben jene zwei mal drei Meter ausgedehnt worden ist – ein enormer Effekt. Denn viel näher als in der Vorstudie teilt sich mit, was Harmonie und Zusammenhalt, Treue und Würde in der Familie Runge bedeuteten. So hatte sich besonders Daniel wahrhaft fürsorglich darum gekümmert, dass Philipp Otto seine anspruchsvollen Projekte verwirklichen und trotzdem Pauline und die bald drei Kinder ernähren konnte. Das vierte Kind kam am 3. Dezember 1810 zur Welt, einen Tag nach dem Tod seines Vaters, Philipp Otto Runge. Der Junge wurde auf den Namen Philipp Otto getauft.
    Werden und Vergehen, der Morgen, der Abend, die Nacht, ein
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