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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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1659 wurden in dem hansischen Bürgerhaus Pillen, Tinkturen, Tropfen, Salben verkauft. Zuvor hatten wechselnde Besitzer die bis heute erhaltenen zwei Erker an die Fassade angebaut. Wismar gehörte damals zum Besitz der schwedischen Krone. Glanz und Wohlstand der Hanse waren schon Vergangenheit. Aber das ist ein anderes umfangreiches Kapitel, in dem wir hier nicht weiter blättern wollen.
    Die Alte Löwenapotheke versorgte noch bis vor wenigen Jahren ihre Wismarer Kundschaft mit Medizin. Hatte den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, die Deutsche Demokratische Republik, die Treuhandanstalt überlebt. Doreen und Doreen heißen die Löwenapothekerinnen mit Vornamen, die seit 2007 Regie in der Bademutterstraße führen. Apothekerkittel tragen sie nicht. Sie haben auch kein Pharmaziestudium hinter sich. Lagern in ihren Schubladen weder Pflaster noch Arzneien. Setzen sich auf ihre Weise in allem, was sie tun, und das ist unerhört viel, für Gesundheit und Wohlbefinden ein: vom Kresseblatt über Agavendicksaft bis zum selbst gemachten Quark. Letzteren reichern sie mit Leinöl an, nachdem sie erfahren haben, dass Leinöl das Immunsystem stärkt, vor Infektionen und aggressiven Radikalen schützt. >Eine ihrer anderen »Mixturen« lautet Eierpfannkuchen mit Zimt. »Dazu mischen wir Dinkelmehl und Weizenmehl, süßen mit Rohrzucker, verfeinern mit Kokosflocken und verrühren die Masse mit Eiern und Milch«, wobei es sich nicht um x-beliebige Eier dreht, schon gar nicht um Billig-Eier für sieben, acht Cent pro Stück! Die Löwenapothekerinnen verwenden ausschließlich naturbelassene Produkte, vorzugsweise aus der Region, von Ökobauern und Biohofläden in Mecklenburg. »Und wenn da ein Ei fünfundzwanzig Cent kostet, kostet es eben fünfundzwanzig Cent! Aber das ist nahrhaft und schmeckt!« Die Löwenapothekengäste goutieren die hohe Qualität. Zumal man mit reichlichen Portionen verwöhnt wird. Die hausgemachten Torten, gefüllt mit frischem Obst, »was gerade wächst oder eingekocht worden ist«, so annonciert die Speisekarte, sind locker zehn Zentimeter hoch.
    Ein Zufall brachte Doreen Rump und Doreen Heydenbluth zusammen. Völlig unspektakulär in Wismar auf der Straße, die Mecklenburgerin und die Thüringerin waren Nachbarinnen. Zuerst grüßten sie sich nur, hallo! Bald wechselten sie das erste Wort. Dann kam die erste Verabredung. Auf Anhieb fanden sie sich sympathisch, funkten auf derselben Welle, schleppten ähnliche Sehnsüchte mit sich herum. »Irgendwas mit Café, mit Kultur, mit Ostsee!« Die Architektin und die Wirtschaftsjuristin, beide geboren in den siebziger Jahren, beide glücklich liiert, attraktiv, beide haben ein kleines Kind, setzten sich in den Kopf, neben ihren Jobs »was ganz Eigenes« aufzuziehen. Auslandsaufenthalte in Österreich und in der Schweiz bei der einen, in England, Holland, Portugal bei der anderen, schafften ein weiteres Verbindungsglied zwischen Doreen und Doreen. Ein nächster Zufall (gibt es Zufälle?) machte sie schließlich zu Wismars neuen Löwenapothekerinnen. Vorangegangen war 2002, dass die UNESCO die Altstädte von Wismar und Stralsund zum Weltkulturerbe erklärt hat. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort bekam Doreen Rumps Architektenbüro, das auf Altstadtsanierung spezialisiert war, eine Menge zu tun und hatte das Glück, sich in der Alten Löwenapotheke zwecks neuer Nutzungskonzepte umzuschauen. Denkmalpfleger, Bauforscher, Archäologen untersuchten das Prachtstück monatelang. Stadtarchivare forschten in Akten, rekonstruierten die Historie, fertigten Inventarlisten an. Über dreihundert Jahre war die Apotheke in Betrieb gewesen. Nun sollte ein Investor her. »N-e-i-n, bitte nicht!«, ahmt Doreen Rump in ihrer humorvollen Art schallend lachend ihre spontane Reaktion von damals nach. Denn sie hatte sich über beide Ohren in das Backsteinhaus in der Bademutterstraße verliebt. Zähe Debatten mit Banken folgten, Zittern um einen Kredit. Doch am Ende lief alles perfekt. 2005 unterzeichnete Doreen Rump den Kaufvertrag. Doreen Heydenbluth stieg ins Projekt mit ein, entwarf einen klugen Businessplan.
    Eine Achtzig-Stunden-Woche wurde für die beiden von nun an zum Normalfall. Und bevor sie 2007 ihre Tore öffneten, holten sie Berge von Informationen ein. Über Geschirr. Über Besteck. Über Kaffeesorten, Kaffeemaschinen. Woher das Brot? Woher Obst und Salat? Wie lange hält ein Schinken? Welche Vorratsmengen braucht man? »Wir hatten ja bis dahin mit Gastronomie nix am Hut!«
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