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Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox
Autoren: Craig Russell
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Kopf ist nicht viel übrig, und ihr Gesicht fehlt ganz, was eine Schande ist, dann sie hatte ein schönes Gesicht. Ein wunderschönes Gesicht. Neben ihr liegt hingeworfen eine große Segeltuchtasche auf dem schmutzigen Boden. Ihr Inhalt ist zur Hälfte herausgefallen: eine große Menge gebrauchter Banknoten von hohem Nennwert.
    Ich lehne an der Wand eines leeren Lagerhauses am Hafen, ein Loch in meiner Seite, und versuche mich an anatomische Zeichnungen zu erinnern, während Helena Gersons ohne ihr schönes Gesicht und eine große Tasche mit Geld vor mir auf dem Boden liegen. Das sollte eigentlich schon reichen, aber dazu kommt noch der Fette Holländer, der auf die tote Frau hinunterstarrt, dann auf die drei toten Männer, dann auf die Tasche und jetzt auch auf mich. Und in den Händen hält er eine Schrotflinte: die gleiche Waffe, der Helena Gersons Gesicht zum Opfer gefallen ist.
    De Jong kommt näher, reißt die Schrotflinte hoch und richtet sie auf meinen Kopf. Er spannt beide Hähne und drückt ab. Wir hören zwei fast gleichzeitige hohle, metallische Schnapplaute.
    »Pech«, sage ich. »Lillian hatte es so eilig, dass sie nicht mal nachgeladen hat.« Ich richte die Pistole auf sein Gesicht. Klappernd fällt die Schrotflinte zu Boden, und er hebt die Hände. »So lobe ich mir einen braven Holländer«, sage ich lächelnd, doch das Atmen fällt mir schwer. »Jetzt zwei Schritte zurück.«
    Er tut, was ich verlange.
    »Ich fürchte, auf Sie wartet noch größeres Pech«, sage ich.
    »Was?«
    Ich beantworte seine Frage, indem ich ihm die drei letzten Kugeln ins Gesicht jage. Eine Kugel lässt ein Auge platzen, und er ist tot, ehe er auf dem Boden aufschlägt.
    Ich sehe mich um. Fünf Leichen liegen in großen klebrigen Blutpfützen.
    »Wenn es euch nichts ausmacht, schließe ich mich euch an«, sage ich mit einem matten Lächeln zu den anderen. Ich gleite an der Wand hinunter, bis ich sitze. Ich denke an Jackie Gillespie und wie ich mit ihm geredet habe, bis er tot war. So etwas hätte mir auch gefallen. Wenigstens habe ich McGahern erwischt. Und ich habe verhindert, dass die Maschinenpistolen das Land verlassen. Ich schaue auf Helenas Leiche, und mir ist zum Heulen. Es geht mir wirklich gegen den Strich, dass Lillian, dieses Luder, entkommen ist. Sie war der Kopf. Die Wahrheit ist, ich glaube nicht mehr, dass ich wirklich sämtliche Antworten gefunden habe. Es wurmt mich, dass ich immer gewusst habe, wie gerissen Tam McGahern gewesen ist. Und er hat an der Seite der palästinensischen Juden gekämpft. Er hat gewusst, wie hart sie sind. Dass sie niemals aufgeben. Da passt es einfach nicht, dass er sich darauf einlässt, Waffen an die Araber zu verschieben. Er hätte gewusst, wohin das führen muss. Und dann die Art, wie er bei Lillian Rat gesucht hat. Ja, sie war der Kopf der Bande. Ich schaue zu McGaherns Leiche hinüber.
    »Du bist gar nicht Tam, stimmt’s?«
    Er antwortet nicht.
    »Ist jetzt auch egal, Frankie.«
    Mir ist kalt. Ich bin müde. Ist nicht schlimm, Lennox, sage ich mir. Ich schließe die Augen und warte auf den Tod.
     
    Ich bin wütend, weil jemand versucht, mich zu wecken. Mir auf die Wangen schlägt. Ein anderer zupft an meiner Kleidung, wo ich angeschossen wurde.
    Verpisst euch. Lasst mich schlafen.
    Weitere Schläge. Jemand zieht an meinen Lidern. Ich öffne sie.
    »Jonny?«, sage ich schwach zu dem großen, gut aussehenden Gesicht dicht vor meiner Nase. Das kann nicht Jonny Cohen sein. Das sind Halluzinationen. Jemand schneidet meine Kleider auf. Ich spüre einen leichten Stich, als jemand mir eine Spritzennadel in den Arm drückt.
    Ich blicke über Jonnys Schulter und sehe jemand anderen dort stehen. Das können nur Halluzinationen sein, Trugbilder. Was sollte der Hollywoodschauspieler Fred MacMurray in einem Glasgower Lagerhaus zu suchen haben?

Epilog
     
    Ich blicke auf das Grab, vor dem ich stehe. Das Wetter passt dazu, vor einem Grab zu stehen und darauf hinunterzuschauen: ein stahlgrauer schottischer Himmel, und unten im Tal lauert ein haar , wie Schotten mit lyrischer Ader dichten Nebel nennen. Hier oben ist der Regen dünn und nieselig und sickert boshaft in jeden Quadratzoll Kleidung, den er finden kann.
    Der Sommer 1953 hat sich als Sonnenrekord für Schottland erwiesen, doch meine tiefe Bräune kann er nicht erklären. Vor drei Monaten habe ich noch unter einer Sonne gesessen, wie sie niemals auf Glasgow scheint. Zwei Monate hatte es gedauert, bis meine Wunden halbwegs verheilt
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