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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin
Autoren: Gunna Wendt
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Sie schrieb Peter Jerusalem einen Brief nach Landshut, den er in seinem Buch wiedergibt: »Nach einer durchweinten Nacht bin ich soweit gefasst, dass ich Dir wenigstens schreiben kann«, beginnt sie, entschuldigt sich dann für ihre Nervosität und erklärt: »Ich bin so elend beisammen, so zermürbt, dass ich halt nicht mehr kann. Denn dass Ihr mir bald beide verloren seid, Du und der Bub, dass auch das Glück sich allmählich von mir wenden wird, das weiß ich bestimmt. Ich falle eben doch dem Schicksal anheim, welches mir meine Mutter gewünscht hat. Ganz bestimmt. Ich will heute zum Arzt gehen. Und darnach vielleicht zu einem Psychiater, damit ich weiß, was mit mir los ist, und wie man mir helfen kann. Denn so darfs nicht weitergehn. Im Kino fing ich an zu heulen, wollte zu Dir und verdarb natürlich den andern den Abend. Und wenn ich bei Dir bin, verderb ich Dir die Tage. Und mir hab ich das Leben verdorben. Es wird wohl Schicksal sein.«
    Obwohl er verletzt war, fühlte sich Jerusalem weiterhin für sie und ihr Schicksal – als Schriftstellerin und als Mensch – verantwortlich. Unter seinen erklärenden Sätzen sind solche wie: »Es stand ja nicht nur eine Frau, nein auch eine große Dichterin auf dem Spiel. Alles, was ich einmal behutsam und mit viel Geduld aufgebaut hatte, drohte zusammenzubrechen, wenn ich ihm die haltenden und sicheren Stützen entzog.« Was war es, was aus ihm sprach: Verantwortungsgefühl und Großmut oder Egoismus und Selbstüberschätzung?
    Ein anderer war im Begriff, ihm den Besitz zu nehmen, in den er viel investiert hatte. Jerusalem übte sich anfangs in Geduld, wollte die Tür nicht hinter ihr zuschlagen, sondern sie, solange es ihm emotional möglich war, offen halten – für den Fall, dass sie zurückkommen würde. Natürlich hätte es andere Möglichkeiten gegeben. »Doch ich hatte nichts von einem Othello in mir. Weder Strick noch Dolch waren die Waffen, nach denen ich in solch einem Augenblicke griff, um das Eigentum, das mir ein anderer zu entreißen drohte, zu vernichten.« Das rührte vor allem daher, dass er einen Menschen nicht als Besitz betrachten wollte. »Liebe ist ein Geschenk, und der Geber kann es jederzeit zurücknehmen in seiner leiblichen Gestalt, in der er es dem andern hingibt.« Er entwarf eine Utopie von Liebe, der man sich jeden Tag würdig erweisen müsse und in der Eifersucht keinen Platz habe. Doch er war weitaus possessiver, als er zugab, litt unter der Situation und war dennoch bestrebt, »ein drohendes Unheil zu verhüten«. Wenn er auch die Ehefrau und Geliebte verlieren würde, könnte er vielleicht die Dichterin weiterhin unterstützen und stärken.
    Kurz bevor er zum Kriegsdienst eingezogen wurde, hatte ihm Lena gestanden, sie habe all ihre Bücher eigentlich nur für ihn geschrieben, was er damals als »echt frauliches Geständnis« wertete. Nachdem sie ihn verlassen hatte, fragte er sich, ob sie nun für den anderen schreiben würde. Würde sie so verfahren, wie es männliche Künstler mit ihren Musen taten? Er fürchtete, ausgetauscht zu werden, glaubte allerdings zu wissen, dass »der Bub« wenig Verständnis für ihre Literatur hatte. Fabbri war ein Performer, der Texte nach ihrer Bühnentauglichkeit auswählte. Mit dieser Einschätzung lag Jerusalem wohl richtig. Doch weil für ihn kein Platz mehr war, wandte er sich mehr und mehr von seiner Frau ab.
    Die endgültige Trennung erfolgte im Herbst 1919, Peter Jerusalem zog nach Schwabing in die Hohenzollernstraße, Lena Christ in die Tizianstraße. Sie wollte Lodovico nahe sein, der in der Nymphenburger Malsenstraße wohnte. Schon Anfang 1920 wechselte Lena Christ ein weiteres Mal die Wohnung, weil in der Tizianstraße Umbauten durchgeführt wurden, von denen sie sich stark gestört fühlte. Ihr letztes Domizil war die Schwabinger Bauerstraße 40. Lodovico soll nur ein einziges Mal dort gewesen sein. Der Sänger machte sich auf den Weg nach Frankreich, wo er ein Engagement bekommen hatte. Damit verschwand er aus ihrem Leben – wie einst ihr Vater Karl Christ entschwunden war.

18
Der letzte Akt der Selbstinszenierung
    Nachdem sie von ihrem Geliebten verlassen worden war, befand sich Lena Christ in einer finanziellen Zwangslage – aber nicht, weil sie versucht hatte, ihren Liebhaber mit »güldenen Banden an sich zu fesseln« und ihm »mit vollen Händen« alles nachgeworfen hatte. Diese Behauptung von Peter Jerusalem entbehrt jeder Grundlage. Lena verdiente nicht so viel Geld, dass sie es
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