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Leif - Hungrig nach Leben: Ein jugendlicher Liebesroman

Leif - Hungrig nach Leben: Ein jugendlicher Liebesroman

Titel: Leif - Hungrig nach Leben: Ein jugendlicher Liebesroman
Autoren: Silke Heichel
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Klopfen“
     
    Wie viele Tränen hat ein Mensch? Ist die Zahl begrenzt? Die Quelle eines Tages versiegt? Man kann nicht ewig weiterheulen. Das hält ja kein Mensch aus. Zumindest nicht die Menschen um mich herum. Die in mein verquollenes Gesicht blicken und mein Schluchzen ertragen müssen. Und das nicht erst seit einem Monat, als ich dachte, schlimmer könnte es nicht mehr werden. Seitdem breche ich meine persönlichen Rekorde jeden Tag aufs Neue.
    Stopp! Aufhören! Ich will nicht mehr weinen. Ich bin es leid. Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Keine Träne bringt ihn mir zurück. Er ist fort. Für immer gegangen. Aber der Schmerz sitzt zu tief. Die Sehnsucht wächst Minute für Minute. Die Erinnerung quält mich. Die Gewissheit. Dass es dieses Mal endgültig ist.
    Oft habe ich mich von ihm getrennt. Genauso oft zu ihm zurückgefunden. Wir konnten nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander. Jetzt muss ich es ohne ihn schaffen. Das Schicksal hat es so bestimmt. Manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden. Aber so?
    Ich kuschle mich in meine Bettdecke. Sie wärmt mich und doch friere ich. Die Wärme, die mir fehlt, kann keine Decke mir schenken. Ich drehe mich auf die Seite, blicke zum Fenster. Die Sonne scheint. Zum ersten Mal seit Wochen. Dass ich sie sehe jedenfalls. Ein Stück blauen Himmel kann ich auch erkennen. Warme Luft strömt durch das gekippte Fenster. Vögel zwitschern im Baum davor, Kinder lachen auf dem Spielplatz in unmittelbarer Nähe unseres Hauses. Ungewohnte Geräusche. Seit meine Eltern genervt die Stereoanlage abgestellt hatten, weil sie das Lied nicht mehr hören konnten, das in Endlosschleife lief, war um mich herum nur Stille. Bis dahin wusste ich nicht, wie sehr Stille in den Ohren schmerzen kann. Dennoch unternahm ich nichts dagegen. Fernsehen oder Radio kann ich nicht ertragen. Dort erzählen gut gelaunte Menschen unwichtigen Quatsch. Weil ihre Welt sich weiterdreht.
    Aufmuntern können mich das Kinderlachen und die Vogelstimmen nicht. Sollen sie meine Hoffnung wecken, falls ein vergessener Funke in einer entlegenen Zelle meines Körpers schlummert? Da draußen leben die Menschen ihr Leben, als wäre nichts passiert. Für sie ist nichts passiert. Für sie war der Tag vor einem Monat wie jeder andere. Für mich hat etwas aufgehört zu existieren. Etwas und Jemand. Auf einen Schlag war alles, von dem ich vorher dachte und fühlte, dass es mein täglicher Lebensinhalt war, nichtig und unwichtig geworden. Meine Liebe zu ihm, meine Wut, weil ich ihn nicht für mich allein haben konnte - ausgelöscht. Wie sein Leben. Plötzlich war da nichts mehr als Leere, die sich langsam mit Fragen füllte und mit einer nie gekannten Verzweiflung. In mir ist etwas kaputtgegangen. Unwiderruflich. So, wie Leif fort ist.
    Die letzten zwei Wochen habe ich im Bett verbracht, außer ich musste aufs Klo. Die Vorhänge waren zugezogen. Ich sah nicht, ob es regnete oder die Sonne schien. Es hätte mitten im Sommer einen Schneesturm geben können, ich hätte es nicht bemerkt. Mir wär‘s auch egal gewesen! Essen und Trinken bringen meine Eltern mir ans Bett. Meistens ist mir tagsüber grottenschlecht. Gegen Abend verfliegt die Übelkeit, dann ernähre ich mich überwiegend von Gouda mit Senf. Darauf habe ich einen ungeheuren Heißhunger entwickelt. Meine Seele jedoch verlangt nach Nutella, direkt aus dem Glas.
    Wenn ich nicht schlafe, liege ich bewegungslos und stumm, einem katatonischen Zustand gleich, in meinem Bett. Allein an meinem Brustkorb, der sich hebt und senkt, erkenne ich, dass ich noch lebe. Ohnehin bin ich viel zu träge. Vielleicht habe ich mich müde geschlafen. Vielleicht braucht mein Körper den Schlaf, um sich selbst zu heilen. Wenn ich schlafe, kann ich nicht heulen. Meine Tränendrüsen haben ausreichend Zeit, neue Flüssigkeit zu produzieren. Wie praktisch! Wie ausgeklügelt von der Natur!
    Heute Morgen fand Mama, ich soll aufstehen. Ohne meinen Protest abzuwarten, zog sie die Vorhänge zur Seite, öffnete das Fenster, damit Sonnenlicht und Lebensklänge mich am Weiterschlafen hindern. Mir fehlte der Antrieb, das zu ändern und ich ergab mich in mein Schicksal. Wie vor einem Monat. Welche andere Wahl hätte ich gehabt? Du kannst nur so lange gegen das Schicksal kämpfen, bis es Dich besiegt hat. Spätestens dann solltest Du einsehen, dass Du verloren hast und Dich zurückziehen. Es ist ein aussichtsloser Kampf, bei dem von vornherein der Sieger feststeht. Natürlich kannst Du es
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