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Leidenschaft der Nacht - 4

Leidenschaft der Nacht - 4

Titel: Leidenschaft der Nacht - 4
Autoren: Kathryn Smith
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sich die Hände an ihrem Hosenrock ab, nahm die Laterne vom Haken und tätschelte ihren Pferden die Nüstern, bevor sie aus der Scheune ging. Es war nach Mitternacht, und sie hatte Hunger.
    Die Laterne beleuchtete den Weg ein Stück vor ihr. Nicht, dass sie Licht brauchte, um zu sehen. Sie bewegte sich vollkommen sicher auf den ausgetretenen, teils zerbrochenen Steinen. Aber jeder, der zufällig vorbeikam, würde erwarten, dass sie eine Laterne bei sich trug, so wie es ein Mensch in einer so dunklen Nacht tat. Und weil sie bei den Leuten im Dorf als ein wenig rätselhaft galt, war es nicht unüblich, dass ein paarjungen sich herschlichen - als eine Art Mutprobe sozusagen - und darauf brannten, etwas Skandalöses zu beobachten.
    Heute Nacht war kein Mond zu sehen, aber der pechschwarze Himmel war von funkelnden Sternen übersät, die wie Diamanten auf schwarzem Samt glitzerten. Von der unruhigen See wehte ein warmer Wind herbei, der an Olivias Kleidung zerrte und ihr den Geruch von Salz, Wasser und Fisch zutrug. Die Gezeiten wechselten gerade, und sollte sich Olivias Nase nicht irren, brachte die Flut einen Sturm mit sich. Die Boote, die jetzt wie gelangweilte Schuljungen an ihren Tauen wippten, würden bald gleich einer Stoffpuppe, um die sich zwei knurrende Hunde balgten, hin und her geschleudert.
    Olivia schnupperte in die Luft. Regengeruch hing schwer im zunehmenden Wind. Es würde eine wundervoll stürmische Nacht werden, die sie von ihrem Schlafzimmerbalkon aus genießen konnte, ehe sie kurz vor Tagesanbruch in ihr warmes Bett floh.
    Ja, sie führte ein schönes Leben!
    Nicht, dass sie immer so empfunden hätte, und bis heute verfluchte sie manchmal die Unsterblichkeit, die sie nicht altern ließ und daher zwang, alle paar Jahre in ein anderes Dorf umzuziehen, ehe die Leute es merkten. Und in solchen Momenten verfluchte sie den Mann, der sie zu dem gemacht hatte, was sie war.
    Reign.
    Inzwischen hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr an ihn gedacht. Überhaupt wurden die ruhigeren Phasen zusehends länger, in denen sie ihn verdrängte. Holte jedoch die Erinnerung an ihn sie ein, war sie über Tage unruhig. Wäre er nicht gewesen, würde sie heute wie eine Frau von sechzig Jahren aussehen, ihrem wahren Alter entsprechend eben, und hätte vielleicht Enkelkinder, die sie auf ihrem pummeligen Schoß wiegen konnte. In ihrem Gesicht wären richtige Falten, nicht bloß die zarten kleinen Linien in ihren Augenwinkeln. Sie hätte sogar graues Haar. Und wahrscheinlich hätte sie auch einen süßen, gleichfalls ergrauten Ehemann, der sie wunderschön fand und nichts auf ihr Alter gab.
    Stattdessen war sie eine Sechzigjährige, die trotz allem, was sie bereits gesehen und erlebt hatte, wie dreißig aussah und immer aussehen würde. Einen pummeligen Schoß und Enkelkinder, die sie darauf wiegen konnte, würde es nie geben. Wäre sie geblieben, hätte sie vielleicht einen Ehemann, der ihr erzählte, dass sie wunderschön war, aber er wäre nicht süß - auf keinen Fall.
    »Da ist ein Bote für Sie, Ma’am«, informierte ihre Haushälterin Agnes sie, die in der Tür des Cottages stand, als Olivia wieder beim Haus war. Sie war so tief in Gedanken gewesen, dass sie gar nicht gehört hatte, wie die Tür geöffnet wurde. Nun, wenn sie nicht einmal auf ihrem eigenen Grundstück alle Vorsicht vorübergehend ablegen konnte, wo dann?
    Ein Bote? Für sie? Wie überaus antiquiert! Dieser Tage benutzten viele Menschen Telefone - oder das etwas ältere Telegrafensystem. Aber einen Boten schicken? Nun, diese Sitte war eigentlich längst aus der Mode gekommen. Obwohl Olivia altmodisch war, besaß sie ein Telefon, für den Fall, dass ihr Neffe James sie erreichen wollte, der sich mit seinen Freunden in London vergnügte.
    Auf den Vorderstufen des Cottages streifte Olivia ihre Stiefel ab, die sie bei der Arbeit trug, und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Als sie ihr gemütliches kleines Heim betrat, kam ihr abermals der Gedanke, dass es eine ungewöhnliche Zeit für einen Boten war. Auch wenn es für sie mitten am »Tag« sein mochte, war es für die meisten Sterblichen doch mitten in der Nacht. Und ein Bote um diese Zeit verhieß selten Gutes.
    Oder aber seine Nachricht kam von jemandem, der wusste, dass sie auf wäre.
    Diesen Verdacht schob sie beiseite, als sie eilig durch die Diele huschte, die nach Limone und Bienenwachs duftete, und in den kleinen Salon rechts lief. Früher war sie nicht misstrauisch gewesen; erst durch ihren Ehemann
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