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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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damals die Zwillingstürme eingestürzt waren. Tatsächlich! Das fiel ihm jetzt wieder ein. Am Vormittag war er den Block hinuntergejoggt. Mit Kopfhörern in den Ohren und hatte U2 gehört. Achtung, Baby. Plötzlich hatte es einen lauten Knall gegeben. Wem sollte er erzählen, was er da Außergewöhnliches gesehen hatte? Seine Freundin Christy hatte ihn tags zuvor aus unerfindlichen Gründen und ohne Vorwarnung verlassen, weswegen er zu seinem Mitbewohner Eric zurückgejoggt war, der mit einem schlimmen Hangover in der Badewanne gelegen und auch beim vierten Erklärungsversuch noch immer nichts kapiert hatte.
    Desmond sah hinüber zu der Frau, die zwei Plätze von ihm entfernt saß und sich an den Armlehnen festklammerte. Vielleicht sollte er ihr noch einmal sagen, dass sie wirklich keine Angst zu haben brauchte? Die meisten Dinge, die einem Furcht einflößten, überlebte man. Während seines Studiums in Greensboro hatte er auch mehrere beängstigende Initiationsrituale über sich ergehen lassen müssen, zum Beispiel die Sache mit dem Bierfass und der Windel. Meine Güte! Er grinste in sich hinein. Warum musste er ausgerechnet jetzt daran denken? Oder er holte seine alten Klaviernotenblätter von »Für Elise« heraus, die ihm seine Tante zur Erinnerung mitgegeben hatte. Um dieser Frau zu signalisieren, dass er kultiviert und trotzdem ganz entspannt war. Er räusperte sich. Er war voller Geschichten. Als Teenager hatte er in Madagaskar gelebt; vermutlich sprach er physisch deshalb so intensiv auf die afrikanischen Hans-Zimmer-Trommeln an. Sie rührten in ihm einen Urinstinkt an, den Kampfgeist eines Mannes, der bereit war, sein Leben für das seiner Familie zu opfern. Sie hatten einige Angestellte gehabt, ein Kindermädchen, einen Koch, zwei Security-Männer, eine Putzfrau und einen Gärtner. Wenn er jetzt darüber nachdachte, wie es wohl wäre, alt zu sein, sah er sich in den Hamptons auf der Veranda eines Strandhauses sitzen. Im Schaukelstuhl, neben ihm seine für ihn bestimmte Frau; ebenfalls im Schaukelstuhl mit einem handgemachten Quilt über den Knien – bis dahin allerdings musste er noch einiges Geld verdienen, um sich so ein Ding leisten zu können. Und seine Frau musste er noch finden. Aber gerade sah er keinen Grund, warum das nicht klappen sollte. In seinem bisherigen Leben hatte alles geklappt. In etwa dreißig Jahren würde er mit dieser Frau aufs milchige Meer hinaussehen, die Möwen kreischen hören, Rootbeer mit einer Kugel Vanilleeis löffeln und Joe’s New Hampton Pizza essen.
    Er mochte das Loch in ihrer Jeans. Die silberglänzenden Riemchensandalen an den Füßen fand er zu dieser Jahreszeit etwas befremdlich. Außerdem sah sie aus, als müsse sie mal wieder an die Luft. Schon in der Primary School hatte seine Mutter ihn vor zu eigenwilligen Mädchen gewarnt, und gleich hörte er wieder ihre Stimme: »Desmond, dein Vater und ich sind so enttäuscht von dir. Warum suchst du dir nicht ein nettes, verlässliches Mädchen?« Wann verstummten eigentlich endlich diese kommentierenden Stimmen in seinem Kopf? Er konnte doch nichts dafür, dass Christy ihn verlassen hatte – oder etwa doch? Konventioneller als sie konnte ein Mensch schließlich kaum sein. Dass er seit der Trennung bombastische Musikarrangements in seinem Kopf hörte, interessierte seine Eltern überhaupt nicht. Und darum hatte er ihnen bisher auch noch nichts von seinen Hollywood-Plänen erzählt.
    Über ihnen erloschen die Anschnallzeichen, und Desmond zog aus seinem schwarzen Nike-Rucksack, den er unter dem Vordersitz verstaut hatte, seine alte Klaviermappe aus roter Pappe. Mal sehen, wie die Frau neben ihm auf Notenblätter reagierte. In der Highschool hatte er mal Koks probiert, sich in einem fremden Wohnzimmer im Vollrausch auf den cremefarbenen Teppich unter einem dunkel eingetönten Glastisch übergeben und mit ein paar Mitschülerinnen in der Schulaula diesen Isolationstanz einstudiert, bei dem sich nur der Kopf von rechts nach links bewegte. Das war, zugegebenermaßen, das Wildeste, was er je in seinem Leben gewagt hatte. Bestimmt konnte diese Frau mit ganz anderen Erfahrungen aufwarten. Die Stewardessen kamen mit ihrem Getränkewagen vorbei. Eine von ihnen blickte ihn direkt an. »Was möchten Sie trinken?«
    »Einen Baileys auf Eis, bitte.« Dabei lächelte er die Frau neben sich an, die vermutlich in seinem Alter war. Ein auffälliger Ring mit großem, geschliffenem Stein steckte an ihrem feingliedrigen Finger. Ob sie auch
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