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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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feststellen konnte, dass er nicht zur Glatzenbildung neigte. Hätte er sich zu ihr umgedreht, hätte sie sein Gesicht auswerten können. Ihrer Überzeugung nach gab es Menschen, die eher prädestiniert waren, mit dem Flugzeug abzustürzen, als andere. Fortier, ihr Chef, zum Beispiel, war ein Typ Mann, der garantiert nicht mit dem Flieger verunglückte. Er strahlte eine gewisse Sicherheit oder Zuversicht aus. Nie würde er in eine Maschine einsteigen, hätte er ein ungutes Gefühl. Da aber auch kein Flugzeug der Welt es wagen würde, mit Fortier an Bord abzustürzen, würde er nie ein ungutes Gefühl haben. Mit ihm würde sie vielleicht sogar mal nach China fliegen. Rein platonisch. Sollte das jemals aus beruflichen Gründen nötig sein.
    Die Stewardess in weinroter Bluse und knallroten Lederhandschuhen lief durch den Gang und schloss die Plastikklappen der Gepäckablagen. Dabei sah sie nach rechts und links auf die Füße der Passagiere, ob auch die Gepäckstücke unter den Vordersitzen vorschriftsmäßig verstaut waren. Egal. Die flogen einem sowieso um die Ohren, wenn die Maschine vom Himmel rumste. Noch vor ein paar Jahren war Ivy häufig geflogen. Ohne sich Gedanken darüber zu machen. Sie war einfach davon ausgegangen, dass sie heil landete. So, wie sie jetzt davon ausging, dass sie abstürzte. Dabei hatte sich die Welt gar nicht verändert. Nur ihr Blick darauf. Endlich lehnte sich der Mann am Fenster mit einem leisen Seufzer in seinem Sessel zurück und blickte nach vorne auf die Sicherheitskarte in der grauen Vordersitztasche. Kaum zu glauben. Er sah gut aus. Hohe Stirn und dunkelblonde Haare mit leichtem Graustich. Im Grunde genommen sah er aus wie die zehn Jahre ältere Version von Ryan Reynolds. Trotzdem faltete er plötzlich seine Hände im Schoß. Himmel, er betete! Gleich fing Ivys Herz wieder heftiger an zu schlagen, das Flugzeug setzte sich Richtung Rollfeld in Bewegung. Wieso betete dieser Mann jetzt? Er war doch eher der Nicht-Absturz-Typ! Warum war sie nur nach Berlin geflogen? Damit sich alle über ihr verkorkstes Leben auslassen konnten? Sie schloss die Augen, um sich wegzudenken, irgendwohin, wo sie nicht abstürzen konnte. In ihre Einzimmerwohnung in Notting Hill hinein. In ihr Bett unter der Dachschräge. Mit Schlafbrille. Eine Schlafkur machend. Der Versuch scheiterte. Überdeutlich sah sie sich auf Platz 28c sitzen, die Armlehnen umklammernd. Überhaupt roch es stark nach Kerosin. Vermutlich schmorten gerade ein paar Kabel hinter der Deckenverkleidung durch. Die Stewardess hinten in der Kabine blätterte in einem OK! -Magazin, als sei ihre Arbeit bereits erledigt. Offenbar hatte Ivy die Sicherheitshinweise verpasst. Sie lächelte ihren Reihennachbar an, dessen irritierter Blick gerade an ihren silbernen Sandalen hängen blieb. »Entschuldigung. Sind heute die Sicherheitshinweise ausgefallen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaub, die haben eben diese Sicherheitskarten hochgehalten. Diese Braunhaarige da vorne und die Blonde da hinten.«
    Er wies mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten, zur ins OK! -Magazin vertieften Stewardess. Es ruckte.
    »Ich hab Angst.« Ivy lächelte.
    Der Mann mit den Ryan-Reynolds-Haaren lächelte auch. »Wird schon gut gehen.«
    Die Maschine beschleunigte, es wackelte. Sie rollten schneller und schneller. Gleich würden sie abheben. Nur einen kurzen Moment, und dann würden sie wie ein Stein vom Himmel plumpsen. Ivy wusste genau, dass das passieren würde. In ein paar Sekunden würde sie tot sein. Mit hundert anderen, ihr vollkommen fremden Menschen schoss Ivy in den Himmel. Wieso schafften es Männer nie, einen zu beruhigen? »Wird schon gut gehen.« Warum mussten Männer nur alles schlimmer machen, als es schon war? Sie flogen noch immer. Es ging steil hinauf. Ivy atmete. Das war das letzte Mal, jetzt war es klar, das letzte Mal, dass sie einen Flieger bestiegen hatte. Warum saß niemand bei ihr, der sie beruhigen konnte? Der Mann, der für sie in Frage kam, würde daran zu erkennen sein, dass er ausnahmslos das Richtige sagte. Zum Beispiel: »Mit einem Flugzeug abzustürzen ist so ziemlich das Unwahrscheinlichste – nein! –, es ist das Unwahrscheinlichste auf der ganzen Welt.«
    Doch die Existenz dieses Mannes war noch unwahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass dieses Flugzeug in der Luft blieb. Hatte sie eigentlich ihr Handy ausgeschaltet? Nicht, dass das gleich klingelte. Normalerweise rief Nathalie nämlich direkt nach dem Start an, um auf die
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